Orsi ist heute 15 und lebt seit ihrer Geburt in Bögöz, einem Dorf im rumänischen Transsilvanien. Orsis Mutter gehört der Roma-Minderheit an, ihr Vater ist Szekler, eine ungarische Minderheit mitten in Rumänien.
Orsi hat insgesamt 7 Geschwister, 3 jüngere und 4 ältere. Bis 2021 lebte sie zusammen mit ihren Eltern und 4 Geschwistern in einem kleinen Haus mitten in Bögöz. Viele Jahre war nur ein Zimmer in diesem Haus bewohnbar, indem sich alle 7 Personen tags und nachts aufhielten. Ihre gesamte Kindheit war geprägt von Armut verbunden mit Kälte im Winter, Hunger und Perspektivlosigkeit. Ihr Vater arbeitete als Hirte in einem nahegelegenden Dorf und war nur im Herbst und Winter zuhause. Aufgrund seiner Alkoholsucht tyrannisierte er die Familie während seiner Anwesenheit in Form von verbalen Auseinandersetzungen und von häuslicher Gewalt. Das wenige verdiente Geld wurde regelmäßig in Alkohol und Zigaretten investiert, sodass die Mutter alleine als Tagelöhnerin die Familie ünber Wasser halten musste. Oft muss Orsi auf die kleinen Kinder aufpassen, während die Mutter anderswo für ein wenig Geld Brennholz schleppt oder Wände streicht. Oft reicht das Essen nicht mal für eine warme Mahlzeit am Tag. „Trotzdem sie wenig Schulbildung genossen hat, ein Leben voller Entbehrungen lebt und jeden Tag ums Überleben kämpft, hat diese Mutter bei jedem Treffen eine unglaubliche Liebe ihren Kinder gegenüber ausgestarhlt“, so Sandy aus Deutschland, die seit vielen Jahren regelmäßg ins Dorf kommt und immer wieder nach Orsi und ihrer Familie schaut.
2021 stirbt ihr Vater und hinterlässt der Familie hohe Schulden.

Als 2015 das Basketballprojekt in Bögöz startet, konnten wir zunächst ihren damals 11 jährigen Bruder überzeugen, an den Trainings teilzunehmen. Er war zu der Zeit der einzige Roma, der regelmäßig trainierte. Mit Hilfe der damaligen Trainer wurde er von einigen Spielern akzeptiert, hatte aber dennoch oft auch mit Vorurteilen und verbalen Angriffen zu kämpfen. Während einer unserer Sommercamps begleitete Orsi ihren Bruder als Zuschauerin und schaute während der Trainings vom Spielfeldrand aus zu. 2017 luden wir zum ersten Mal auch jüngere Kinder von Bögöz zu unserem Sommercamp ein. Orsi war dabei und viele andere Romas aus Bögöz ebenso. Orsi war glücklich, liebte jeden Moment, war aber schüchtern und zurückhaltend. Sie redete wenig.

Kurz darauf organisierten wir regelmäßige Trainings auch für die jüngeren Kinder in Bögöz. Ab dem
Moment wurde Orsi zur Basketballerin und vermisste nur wenige Einheiten. „Orsi liebt das Basketballtraining“, so Ida, ihre Mutter. „Ich bin froh, dass sie dorthin geht und ich lasse sie auch.“ Mittlerweile durfte sie schon an mehreren Freundschaftsspielen und kleineren Turnieren teilnehmen. Ihr Trainer resümiert dazu: „Ich erinnere mich, als Orsi mit uns zum ersten Mal nach Kézdivásárhely gefahren ist, wo sie in deren großen Sporthalle mit Tribüne und Parkettboden ihr erstes Spiel gegen eine andere Mannschaft bestreiten sollte. Es gibt einen Moment, kurz nachdem sie erstmalig ihr Trikot anzog und damit die Halle betritt. Etwas schüchtern steht sie auf dem Parket, aber voller Stolz schaut sie mit Blick auf ihr Trikot an sich hinunter. Ich werde diesen Moment nie vergessen. Katalina hat diesen Moment scheinbar ähnlich intensiv wahrgenommen und genau in dem Moment auf den Kameraauslöser gedrückt.“ Dank geschulter und unvoreingenommener Trainer gelang es sehr schnell und mit wenigen Hindernissen, sowohl Romas als auch Szeklerkinder in den Basketballteams zu integrieren. Der soziale Hintergrund spielt hier keine große Rolle. Die Kinder haben auch ohne eigener oder elterlicher vorheriger Erfahrung schnell verstanden, was Teamgeist bedeutet. Orsi hat hier ihren Platz gefunden, ist aufgeschlossen und hat großes Selbstbewusstsein entwickelt.

Seit nun beriets 4,5 Jahren spielt Orsi in Bögöz Basketball. Nachdem wir im Rahmen unseres Projektes VALYOUNITY beschlossen haben, unsere eigenen Trainer für die Zukunft auszubilden, viel unser Augenmerk recht schnell auch auf sie. Früh musste sie sich geduldig um ihre Geschwister kümmern. Auch verlässlich war Orsi schon immer und ihre Begeisterung für den Sport war auch allen bewusst. So fand auch sie die Idee schnell gut, auch wenn sie anfangs skeptisch war, ob sie das überhaupt kann.

Coach Levi, Trainer der kleineren Kinder ermutigte sie mit den Worten: „Mache dir keine Sorgen, Orsi. Wir gehen das langsam an und du hast meine volle Unterstützung.“ Die Nachrichten in den Messengergruppen der Eltern zeigen uns, dass Orsi auch von den Eltern respektiert wird. So informiert sie die Eltern zum Beispiel regelmäßig über die Abfahrtzeiten aus der Halle in der Stadt zurück nach Hause, sodass die Eltern rechtzeitig die Kinder vom Bus abholen können. Sie bedanken sich regelmäßig für das Commitment beim ihr. Einige Woche später schreibt Orsi an die Projektleiter in Deutschland: „Ich fühle mich sehr wohl mit den Kindern. Ich mag sie sehr. Sie sind gute Kinder, hören gut zu. Es gibt Tage, an denen sie weniger aufnahmefähig sind, aber dafrü finden wir meist eine Lösung. In letzter Zeit habe ich sehr gute Übungen gefunden, die den Kindern sehr gut gefallen.“

Orsi ist angekommen. Sie hat Freunde mit unterschiedlichen sozialen Hintergründen, sie wird akzeptiert und respektiert und hat mittlerweile genug Selbstbewusstsein, um auch Kontra geben zu können, wenn sie doch mal verbal angegriffen wird. Wie alle unsere Trainer bekommt auch Orsi ein Entgelt für ihre Zeit mit den Basketballkindern. Es macht sie Stolz einen Job zu haben, der ihr Spaß macht und mit dem sie sogar ihre Familie etwas unterstützen kann.

Die junge Frau hat Glück gehabt. Am Freitag hatte sie an die Tür geklopft, mit nichts als zwei Plastiktüten in der Hand und dem kleinen Kind auf dem Arm, vertrieben vom Vater des Kindes. Sie brauchte einen Platz zum Schlafen, einen Rückzugsort für sich und den kleinen Sohn, ein Jahr alt, zahnloses Lachen, hellbrauner Flaum auf dem Kopf. Familie oder Verwandte, die die 19-Jährige mit den dunklen Haaren, den schmalen Schultern und der ausgeblichenen Kleidung hätten aufnehmen können, gab es nicht, schließlich war sie auch früher schon eine Vertriebene gewesen. Seit dem zwölften Lebensjahr, seit ihre Mutter sie in einem Heim sitzen gelassen und sich aus dem Staub gemacht hatte. Diesmal hat sie Glück gehabt. Das kleine Eltern-Kind-Zimmer im Kloster der Mallersdorfer Schwestern in Szekelyudvarhely war nicht belegt gewesen. Sie durfte bleiben, vorerst.

Alles andere als grau: Schwester Michaela in der Klosterküche.

Die hellen Augen von Schwester Michaela verdunkeln sich, als sie die Geschichte der jungen Frau erzählt, die jetzt in dem luftigen Innenhof des Ordenshauses ihrem Kind mit energischen Zügen die Schokolade vom Mund wischt. Neben ihr hampeln zwei blonde Mädchen auf einer Wippe, Geschwister, ein paar Meter weiter bauen drei Jungs in Bayern-München-Trikots der letzten Saison ein großes, neues Trampolin auf. Sie alle sind Waisen. Ihre Eltern haben sie verlassen, meist bei der Geburt, manchmal auch erst Jahre später. Wie die junge Mutter haben sie bei Schwester Michaela und den anderen Nonnen nicht nur Zuflucht gefunden, ein Bett, eine Dusche und regelmäßiges Essen, sondern auch Zuspruch, Respekt und menschliche Wärme.

„Wir können nicht immer helfen“, erklärt Schwester Michaela schulterzuckend und deutet auf die junge Mutter. Die Nonne, eine kleine rundliche Frau in grauer Schwesterntracht, die dunkelgrauen Haare unter der dunklen Haube gebändigt, die Furchen in dem weichen Gesicht noch nicht allzu tief, kennt viele, fast unzählige dieser Lebenswege.

Mütter, die beinahe selbst noch Kinder sind, die von Eltern oder Männern geschlagen, vertrieben und verlassen werden – und die später nicht selten dieselben Entscheidungen treffen und ihre eigenen Kinder im Stich lassen.

Dennoch sei es heute einfacher, Zufluchtsorte für die Verlassenen und Vertriebenen zu finden. „Es gibt mehr Initiativen, die sich um die Frauen und Kinder kümmern. Wir sind mittlerweile gut vernetzt. Können wir jemanden nicht unterbringen, können wir ihn vielleicht weitervermitteln.“ Nicht zu vergleichen mit der Lage 1991, als der eiserne Vorhang fiel und Michaela nach Rumänien kam.

Damals hätten jeden Tag Dutzende Kinder vor den Türen der Kirche gestanden und gebettelt, erzählt die Ordensschwester mit ruhiger Stimme. Roma. Es rollt leise, wenn Michaela Roma sagt. Noch immer macht sich der oberbayrische Dialekt ihrer Heimat Deggendorf bemerkbar, obwohl Michaela seit 24 Jahren im Szeklerland lebt, dem Landstrich Rumäniens, der von der ungarischen Minderheit des Landes bewohnt wird. Mit 42 hat sie das bayerische Deggendorf verlassen, um das Ordenshaus der Mallersdorfer Schwestern aufzubauen, einer Ordensgemeinschaft der Franziskanerinnen, nachdem das Ende des Kommunismus die Wiederbelebung der katholischen Kirche bedeutete, deren Aktivitäten zuvor durch den Staat stark eingeschränkt worden waren. 1864 ließen sich die Mallersdorfer Schwestern erstmals im rumänischen Hermannstadt nieder, mittlerweile ist der Orden an fünf Orten aktiv, betreibt Kindergärten, Altersheime, Schulen. In Szekelyudvarhely haben die Schwestern damals einen Kindergarten für Angehörige der Roma gegründet, um die Kinder von der Straße zu holen.

„Anfangs hat sich kaum etwas verändert“, erinnert sich die heute 66-Jährige, „alles war wie gelähmt“. Die Menschen hätten einander kaum mehr vertraut, Gleichheitszwang und Ceaușescu-Diktatur hatten ihre Spuren nicht nur auf den Straßen, sondern auch in den Köpfen des Landes hinterlassen. Erst in den letzten Jahren zeigten sich die Fortschritte. Neue Häuser würden entstehen, alte renoviert und restauriert, es gäbe mehr Geschäfte, sogar Touristen. „Es gibt Verbesserungen“, merkt Schwester Michaela an, „aber vieles ändert sich nur sehr langsam“. Noch immer gibt es Roma-Kinder, die betteln. Noch immer gibt es Kinder, die im Kindergarten erst einmal gefüttert, gewaschen und entlaust werden müssten. Einhundert sind es heute insgesamt, die in vier Gruppen betreut werden. Dazu kommen praktische Förderangebote und eine Schule für die, die dem Kindergartenalter entwachsen. Hier sollen die Kinder Selbstvertrauen entwickeln, Lernfreude und Neugierde, Werte, die ihnen zu Hause nicht vermittelt werden. „Viele Eltern sind Analphabeten, waren selbst noch nie in der Schule. Ihnen bedeutet der Schulbesuch der Kinder nichts.“

Sie hat Zuflucht bei den Mallersdorfer Schwestern gefunden: die 19-jährige Mutter, fast selbst noch ein Kind.

Immer wieder würden Kinder nicht erscheinen, weil die Eltern wenig Sinn in der Schulbildung sähen. „Wir sehen aber auch immer wieder Eltern, denen es sehr wichtig ist, dass ihre Kinder mehr lernen als sie selbst. Sie sollen lesen, schreiben und rechnen lernen – alles das, was sie nicht können.“

Waren es früher ausschließlich Roma-Kinder, die aufgepäppelt werden mussten, besuchen heute Kinder unterschiedlicher Gruppen die hellen, bunten Räume, in denen zwischen Mobilees und Plüschtieren gemalt, gebastelt oder gelernt wird. Die Mehrheit der Kinder kommt jedoch noch immer aus den sozial schwächsten Schichten. „Natürlich merken wir, dass viele Eltern ihre Kinder lieber in einen anderen Kindergarten schicken wollen“, gibt Schwester Michaela fast entschuldigend zu, „aber wir wollen niemanden zwingen, sein Kind hierher zu schicken“.

Im Flur stapeln sich die Babymilch-Pakete. Milupa, deutsche Aufschrift. Man spürt die Präsenz des deutschen Mutterhauses hier im tiefsten Rumänien. Viele Spenden, über die sich das Kloster finanziert, kommen aus Deutschland. An Weihnachten würden Schuhkartons voller Geschenke aus Bayern kommen. Auch die einheimischen Schwestern, meist Szekler, lernen Deutsch. Kooperation sei dennoch oberste Priorität, betont Schwester Michaela mehrmals, „Hilfsprojekte müssen immer vor Ort verwurzelt sein“. Sonst brächte auch das größte Engagement langfristig nichts.

Dass die Ordensschwester pragmatisch ist, zeigt auch ihre Begründung, nach Rumänien zu ziehen: „Es wurde eine Stelle frei, ich habe mich beworben und wurde genommen.“ Es fügte sich einfach, ähnlich wie ihre Entscheidung, dem Orden beizutreten, die sie schon im Kindesalter für sich getroffen hat, ganz unbewusst, wie sie heute sagt. Und dennoch hält sie nach der fast nüchternen Bilanz kurz inne.„Es ist ein großes Geschenk, dass ich hierher kommen konnte.“

Ein kleiner Junge wirft sich der Schwester an den Hals und zwängt seine schmalen Schultern unter ihren Arm. Lori ist dreizehn und lebt seit seinem ersten Lebensjahr bei den Schwestern. Sie mussten das einstige Frühchen mit der Flasche aufziehen. Seine Mutter lebte einige Zeit mit Lori im Kloster, aber sie hat neu geheiratet – und den Sohn bei den Nonnen gelassen. Der Junge mit den schräg stehenden dunklen Mandelaugen und dem schlackernden grauen Pokemon-Shirt ist ausgelassen, aufgedreht, anhänglich, flitzt umher und zeigt stolz den Inhalt seines Nachttisches. Fußballkarten, Spielzeugautos, ein Poster von Lionel Messi und ein paar Auto-Sticker, auf denen Turbo steht. Turbo, das ist auch Lori, während er um die Nonnen herumflitzt.

Lori hat bei den Mallersdorfer Schwestern ein Zuhause gefunden, ebenso zwei Schwestern, deren Mutter sie bei den Nonnen zurückgelassen hat. Die Mädchen seien so klug, schwärmt Schwester Michaela. Und sie haben ein Vorbild: Die älteste der dreien hat soeben die Schule beendet, und will an die Universität, studieren.

Text: Valerie Präkelt

Valerie war in diesem Sommer zum ersten Mal mit Basketball in Rumänien und hat als Trainerin und Begleiterin geholfen, wo sie konnte. Ihre Eindrücke hat sie direkt nach dem Camp aufgeschrieben. Wir wollten etwas Zeit vergehen lassen, bevor wir den Text auf den Blog stellen, um erst einmal unsere eigenen Erinnerungen sacken zu lassen. Denn wir sind uns sicher: Jeder, der diesmal mit in Bögöz war, egal ob zum ersten, zweiten oder dreißigsten Mal, hat jede Menge Eindrücke und Erinnerungen mitgenommen – und die muss man in der Regel erst einmal verarbeiten. Aber natürlich wollen wir euch auch Valeries Text nicht vorenthalten. Et voilà.


Mit dem Flieger geht es im Handumdrehen nach Rumänien, wo die Hitze noch viel drückender ist als in Deutschland. Hier ist alles anders – die Taxis schneller, die Stimmen lauter und der Verkehr reger. Zumindest in Bukarest, der Hauptstadt Rumäniens. Zwei Tage im „Paris des Ostens“, der ehemaligen Hochburg des Diktators Ceaușescu, bevor es auch für mich nach Bögöz ins Camp geht. Ich bin das erste Mal dabei und sitze nun im Zug nach Sibiu, wo ich auf den Rest der Gruppe treffen werde. Fünfeinhalb Stunden Zugfahrt für nur knapp 280 Kilometer – fünfeinhalb Stunden, die zeigen, wie Rumänien tickt: Gefahren wird gemeinsam. Es wird geratscht, Essen (oder Sitze) geteilt, gelacht oder auch mal gepöbelt. Und: Eine Platzreservierung ist nicht viel wert – on your feet, lose your seat.

Der Taxifahrer, der mich in Sibiu vom Bahnhof zum Flughafen bringt, hat zwar keine Zähne mehr, schenkt mir als „Dutsche“ aber trotzdem ein Lachen. Mit der Gruppe vereint geht es dann im Bus nach Bögöz, ab ins Szeklerland. Wenn uns nicht in regelmäßigen Abständen immer wieder ein Pferdekarren entgegenkäme, könnten wir auch durchs Tolkinsche Auenland fahren – so grün ist es. Die Ausnahme: Anstatt Hobbithöhlen stehen am Straßenrand zahlreiche Brachtbauten – die meisten von ihnen aber unvollendet. Heißt: Die Häuser sind bewohnt, aber nicht fertiggestellt. Es fehlt der Putz, manchmal sogar die Fensterscheiben. Woran das liegt, haben wir bis heute nicht rausgefunden.

In Bögöz erwartet uns das liebevolle Heim von Irenke. Um auf den Hof zu gelangen, muss man durch ein Szeklertor gehen. Szeklertore sind reich geschnitzte Holztore, die zu verstehen geben, dass hier Szekler wohnen, die den Ungarn näher stehen als den Rumänen (Hier gibt es die ausführliche Erklärung zu Szeklern, Ungarn und Rumänen). Irenke wird uns die nächste Woche bekochen, uns (wir wünschten es wäre anders) hinterherräumen und uns sogar pflegen. Wie der eine oder andere mitbekommen hat, wechselten wir uns über die Woche nämlich mit einem fiesen Magen-Darm-Virus ab, den wir fast liebevoll Tagesvirus tauften – so lange belästigte er jeden einzelnen.

Was habe ich mir davon erhofft, mit nach Bögöz zu fahren? Um ehrlich zu sein, habe ich mir vorher wenig Gedanken gemacht, zu viel Stress in der Uni und im Job. Bei Irenke auf dem Hof zu sein bedeutete zuerst völlige Entschleunigung. Zuerst. Denn dann ging das Camp los, 30 Kinder, die unterschiedlich gut Basketball spielen, verschiedene Sprachen sprechen und alle Aufmerksamkeit brauchen – und diese natürlich auch verdient haben.

Zwei Ausflüge haben mich nachhaltig beschäftigt: Der Besuch im Roma-Dorf und der Besuch auf Renis Farm.

Das Roma-Dorf war für uns alle ein Kulturschock, und, ganz ehrlich: Wir Erwachsenen haben nicht nur die Kinder, sondern auch uns selbst ins kalte Wasser geworfen. Im Dorf war es dreckig, der Großteil der Bewohner nackt. In den Hütten wohnen immer mehrere Familienmitglieder, ohne fließendes Wasser. Die Dorfbewohner trinken aus dem Fluss (ja genau der, dessen Badebesuch uns wahrscheinlich den Magen-Darm-Virus verpasst hat). Es ist staubig und wahnsinnig heiß. Aber wir sind willkommen – obwohl wir keine Geschenke mitgebracht haben. Liebevoll zeigt uns eine junge Mutter ihr Baby, ein hübsches, noch völlig zahnloses kleines Ding. Es ist ein Kulturschock – und das mitten in Europa. Wir kamen in Taxis vorgefahren, in Polizeibegleitung. Eine Busanbindung ins Dorf gibt es nicht (mehr über den Besuch steht hier). Nach dem Besuch haben wir viel diskutiert. War das richtig? Haben wir Katastrophentourismus betrieben? Was hat unser Besuch dem Roma-Dorf gebracht? Und vor allem: Was ist bei unseren Kindern geblieben? Haben wir Vorurteile abbauen können oder diese vielleicht nur noch vergrößert?

Ihr könnt uns glauben, dass wir Erwachsene nach dem Besuch nicht nur gesprochen, sondern auch ein bisschen gestritten haben. Ich persönlich – aber das ist meine Meinung – wünsche mir, dass wir den Besuch im nächsten Jahr wiederholen, allerdings ohne Polizei und Taxen, sondern in Begleitung von Tobias, einem Deutschen, der seit Jahren mit Teenagern in eben dieses Dorf fährt und dort gemeinsam Programm macht. Am nächsten Tag haben wir mit den Kindern gemeinsam über das Erlebnis gesprochen. Ich glaube, dass die Kinder nicht nur gelernt haben, ihr eigenes Hab und Gut zu schätzen, sondern auch, dass es mehr als eine Lebensweise gibt und das Armut nicht zwangsweise Unglück bedeutet. Denn unglücklich waren die Bewohner des Dorfes nun wirklich nicht – es wurde gesungen und gespielt.

Ein besonderer Ausflug war auch der Besuch auf Renis Farm. Ich bin immer noch beeindruckt, dass Reni und ihre Familie jede Nacht auf der Farm übernachten und im Notfall auch mal den ein oder anderen Bären oder Wolf verjagen. Reni gehört zu den Kindern, die stets gute Laune ins Camp getragen haben. Während wir Deutschen gerne (und in diesem Camp leider auch oft) jammern, scheinen mir die Szekler-Campteilnehmer manchmal schon ein bisschen reifer zu sein. Gejammert wird nicht, wer hinfällt, steht auf. Aber nun ja – was ist eine Schnittwunde schon gegen einen ausgewachsenen Bären.

Beeindruckt hat mich in dieser Woche wieder einmal, das Kinder sich verständigen können, auch wenn sie nicht die gleiche Sprache sprechen. Ich wünsche mir, dass wir im nächsten Jahr diese Bindung noch vertiefen können und hoffe, dass wir das Projekt so voran treiben können, dass wir noch mehr gemeinsame Aktivitäten zwischen den Szeklerkindern und unseren deutschen Campteilnehmern ermöglichen können. Seit gestern ist der Großteil von uns wieder zurück in München, und es fühlt sich an, als wäre ich eine Ewigkeit weggewesen. Ich bin mir sicher, dass ich das deutsch-ungarische Geplapper bald vermisse (noch genieße ich die Ruhe) und freue mich auf alle, die nächstes Jahr wieder mitkommen.

Zuletzt noch eine Geschichte, die Sandy und Katalina mir heute erzählt haben: Wie ihr sicher mitbekommen habt, hat auch István, ein Roma-Junge, der schräg gegenüber von Irenkes Pension wohnt, am Camp teilgenommen hat. Obwohl István sehr ruhig ist, schließt man ihn sofort ins Herzen. Am Ende der Reise haben besonders wir Betreuer mit der ein oder anderen Träne gekämpft, weil es bei Irenke einfach so wunderschön ist. Nicht nur wir: Angeblich hat auch Ida, Istváns Mutter geweint. Aus Dankbarkeit, weil ihr Sohn am Camp teilnehmen durfte.