Text: Valerie Präkelt

Valerie war in diesem Sommer zum ersten Mal mit Basketball in Rumänien und hat als Trainerin und Begleiterin geholfen, wo sie konnte. Ihre Eindrücke hat sie direkt nach dem Camp aufgeschrieben. Wir wollten etwas Zeit vergehen lassen, bevor wir den Text auf den Blog stellen, um erst einmal unsere eigenen Erinnerungen sacken zu lassen. Denn wir sind uns sicher: Jeder, der diesmal mit in Bögöz war, egal ob zum ersten, zweiten oder dreißigsten Mal, hat jede Menge Eindrücke und Erinnerungen mitgenommen – und die muss man in der Regel erst einmal verarbeiten. Aber natürlich wollen wir euch auch Valeries Text nicht vorenthalten. Et voilà.


Mit dem Flieger geht es im Handumdrehen nach Rumänien, wo die Hitze noch viel drückender ist als in Deutschland. Hier ist alles anders – die Taxis schneller, die Stimmen lauter und der Verkehr reger. Zumindest in Bukarest, der Hauptstadt Rumäniens. Zwei Tage im „Paris des Ostens“, der ehemaligen Hochburg des Diktators Ceaușescu, bevor es auch für mich nach Bögöz ins Camp geht. Ich bin das erste Mal dabei und sitze nun im Zug nach Sibiu, wo ich auf den Rest der Gruppe treffen werde. Fünfeinhalb Stunden Zugfahrt für nur knapp 280 Kilometer – fünfeinhalb Stunden, die zeigen, wie Rumänien tickt: Gefahren wird gemeinsam. Es wird geratscht, Essen (oder Sitze) geteilt, gelacht oder auch mal gepöbelt. Und: Eine Platzreservierung ist nicht viel wert – on your feet, lose your seat.

Der Taxifahrer, der mich in Sibiu vom Bahnhof zum Flughafen bringt, hat zwar keine Zähne mehr, schenkt mir als „Dutsche“ aber trotzdem ein Lachen. Mit der Gruppe vereint geht es dann im Bus nach Bögöz, ab ins Szeklerland. Wenn uns nicht in regelmäßigen Abständen immer wieder ein Pferdekarren entgegenkäme, könnten wir auch durchs Tolkinsche Auenland fahren – so grün ist es. Die Ausnahme: Anstatt Hobbithöhlen stehen am Straßenrand zahlreiche Brachtbauten – die meisten von ihnen aber unvollendet. Heißt: Die Häuser sind bewohnt, aber nicht fertiggestellt. Es fehlt der Putz, manchmal sogar die Fensterscheiben. Woran das liegt, haben wir bis heute nicht rausgefunden.

In Bögöz erwartet uns das liebevolle Heim von Irenke. Um auf den Hof zu gelangen, muss man durch ein Szeklertor gehen. Szeklertore sind reich geschnitzte Holztore, die zu verstehen geben, dass hier Szekler wohnen, die den Ungarn näher stehen als den Rumänen (Hier gibt es die ausführliche Erklärung zu Szeklern, Ungarn und Rumänen). Irenke wird uns die nächste Woche bekochen, uns (wir wünschten es wäre anders) hinterherräumen und uns sogar pflegen. Wie der eine oder andere mitbekommen hat, wechselten wir uns über die Woche nämlich mit einem fiesen Magen-Darm-Virus ab, den wir fast liebevoll Tagesvirus tauften – so lange belästigte er jeden einzelnen.

Was habe ich mir davon erhofft, mit nach Bögöz zu fahren? Um ehrlich zu sein, habe ich mir vorher wenig Gedanken gemacht, zu viel Stress in der Uni und im Job. Bei Irenke auf dem Hof zu sein bedeutete zuerst völlige Entschleunigung. Zuerst. Denn dann ging das Camp los, 30 Kinder, die unterschiedlich gut Basketball spielen, verschiedene Sprachen sprechen und alle Aufmerksamkeit brauchen – und diese natürlich auch verdient haben.

Zwei Ausflüge haben mich nachhaltig beschäftigt: Der Besuch im Roma-Dorf und der Besuch auf Renis Farm.

Das Roma-Dorf war für uns alle ein Kulturschock, und, ganz ehrlich: Wir Erwachsenen haben nicht nur die Kinder, sondern auch uns selbst ins kalte Wasser geworfen. Im Dorf war es dreckig, der Großteil der Bewohner nackt. In den Hütten wohnen immer mehrere Familienmitglieder, ohne fließendes Wasser. Die Dorfbewohner trinken aus dem Fluss (ja genau der, dessen Badebesuch uns wahrscheinlich den Magen-Darm-Virus verpasst hat). Es ist staubig und wahnsinnig heiß. Aber wir sind willkommen – obwohl wir keine Geschenke mitgebracht haben. Liebevoll zeigt uns eine junge Mutter ihr Baby, ein hübsches, noch völlig zahnloses kleines Ding. Es ist ein Kulturschock – und das mitten in Europa. Wir kamen in Taxis vorgefahren, in Polizeibegleitung. Eine Busanbindung ins Dorf gibt es nicht (mehr über den Besuch steht hier). Nach dem Besuch haben wir viel diskutiert. War das richtig? Haben wir Katastrophentourismus betrieben? Was hat unser Besuch dem Roma-Dorf gebracht? Und vor allem: Was ist bei unseren Kindern geblieben? Haben wir Vorurteile abbauen können oder diese vielleicht nur noch vergrößert?

Ihr könnt uns glauben, dass wir Erwachsene nach dem Besuch nicht nur gesprochen, sondern auch ein bisschen gestritten haben. Ich persönlich – aber das ist meine Meinung – wünsche mir, dass wir den Besuch im nächsten Jahr wiederholen, allerdings ohne Polizei und Taxen, sondern in Begleitung von Tobias, einem Deutschen, der seit Jahren mit Teenagern in eben dieses Dorf fährt und dort gemeinsam Programm macht. Am nächsten Tag haben wir mit den Kindern gemeinsam über das Erlebnis gesprochen. Ich glaube, dass die Kinder nicht nur gelernt haben, ihr eigenes Hab und Gut zu schätzen, sondern auch, dass es mehr als eine Lebensweise gibt und das Armut nicht zwangsweise Unglück bedeutet. Denn unglücklich waren die Bewohner des Dorfes nun wirklich nicht – es wurde gesungen und gespielt.

Ein besonderer Ausflug war auch der Besuch auf Renis Farm. Ich bin immer noch beeindruckt, dass Reni und ihre Familie jede Nacht auf der Farm übernachten und im Notfall auch mal den ein oder anderen Bären oder Wolf verjagen. Reni gehört zu den Kindern, die stets gute Laune ins Camp getragen haben. Während wir Deutschen gerne (und in diesem Camp leider auch oft) jammern, scheinen mir die Szekler-Campteilnehmer manchmal schon ein bisschen reifer zu sein. Gejammert wird nicht, wer hinfällt, steht auf. Aber nun ja – was ist eine Schnittwunde schon gegen einen ausgewachsenen Bären.

Beeindruckt hat mich in dieser Woche wieder einmal, das Kinder sich verständigen können, auch wenn sie nicht die gleiche Sprache sprechen. Ich wünsche mir, dass wir im nächsten Jahr diese Bindung noch vertiefen können und hoffe, dass wir das Projekt so voran treiben können, dass wir noch mehr gemeinsame Aktivitäten zwischen den Szeklerkindern und unseren deutschen Campteilnehmern ermöglichen können. Seit gestern ist der Großteil von uns wieder zurück in München, und es fühlt sich an, als wäre ich eine Ewigkeit weggewesen. Ich bin mir sicher, dass ich das deutsch-ungarische Geplapper bald vermisse (noch genieße ich die Ruhe) und freue mich auf alle, die nächstes Jahr wieder mitkommen.

Zuletzt noch eine Geschichte, die Sandy und Katalina mir heute erzählt haben: Wie ihr sicher mitbekommen habt, hat auch István, ein Roma-Junge, der schräg gegenüber von Irenkes Pension wohnt, am Camp teilgenommen hat. Obwohl István sehr ruhig ist, schließt man ihn sofort ins Herzen. Am Ende der Reise haben besonders wir Betreuer mit der ein oder anderen Träne gekämpft, weil es bei Irenke einfach so wunderschön ist. Nicht nur wir: Angeblich hat auch Ida, Istváns Mutter geweint. Aus Dankbarkeit, weil ihr Sohn am Camp teilnehmen durfte.