Text: Katalina Farkas
Heute gab es eine kleine Planänderung: Weil für den Nachmittag schlechtes Wetter angesagt war, mussten wir unseren Ausflug, eine Kutschfahrt in die umliegenden Hügel, verschieben. Kurzerhand disponierten wir um – in Rumänien nicht unüblich – und verschoben die Fahrt auf abends nach dem Training. Nach den morgendlichen Übungen stand also auf einmal jede Menge Freizeit auf dem Programm – glücklicherweise bot der Hof mit dem kleinen Pool, einem Trampolin und zwei Hollywoodschaukeln jede Menge Möglichkeiten, die Kinder auf Trab zu halten, die zwei mitgebrachten Quartette (Harry Potter und Rennboote) unterhielten den Rest. Endlich hatten auch die Coaches mal ein paar Stunden für sich, die sie direkt zum Zwei-gegen-Zwei-Duell nutzten, von dem sie auch der angekündigte Regenschauer nicht abhalten konnte.
Gegen Abend hatte sich der Regen zum Glück so weit verzogen, dass Training und Ausflug stattfinden konnten. Belohnt fürs Ausharren wurden wir mit einem knallroten Himmel und wild dahinjagenden Wolken. Die Kutschfahrt fand auf zwei hölzernen Wagen statt, die Anfang des 20. Jahrhunderts vielleicht mal zwei schicke Flitzer gewesen waren, jetzt aber hauptsächlich Heu und Stroh transportierten – oder zwischendurch eben mal 21 Nasen aus München. Über Stock und Stein ging es mal mehr, meist weniger rasant voran, und die zwei dunklen, schweren Pferde, die jeweils vor den Wagen gespannt waren, machten nicht den Anschein, als würde sie die Fracht überanstrengen.
Während wir im letzten Jahr – ja, die Kutschfahrt hat uns so gut gefallen, dass wir sie gleich noch mal ins Programm genommen haben – einfach in die Hügel gefahren waren, um nach einer Rast mit Spieleinlage wieder umzukehren, hatten wir diesmal ein ganz besonderes Ziel: Den Hof von Reni, auf den sie uns ein paar Tage zuvor freudestrahlend eingeladen hatte. Reni, ein aufgewecktes Mädchen, das besonders die Trainer mitunter gerne völlig unbeirrt auf Ungarisch vollplappert, hat auch dieses Jahr wieder am Camp teilgenommen, und wollte uns gerne zeigen, wie sie lebt. Reni ist elf, hilft ihren Eltern aber schon seit Jahren bei der Arbeit auf dem Hof, der Pflege der Tiere oder der Ernte.
Ein Hof also, okay. Mit Kühen, Schafen, Ziegen, Pferden und ein paar Hühnern. In einem kleinen Stall aus Backstein, vielleicht mit einer elektronischen Melkanlage, ein paar Weiden und einem Verschlag für die Hühner. So hatten wir uns den Hof vorgestellt – eben wie einen x-beliebigen Bauernhof, den wir aus Deutschland kennen. Aber Rumänien schafft es einfach immer wieder, zu überraschen, und uns mit unseren eigenen Vorstellungen und Vorurteilen zu konfrontieren. Natürlich hat die Familie von Reni keinen Bauernhof in dem Sinne, wie wir ihn aus Deutschland kennen. Aber spannend war die Konstruktion, die sich die kleine Familie in den Wiesen vor Bögöz zusammengebaut hat, allemal – zumal, wenn man die Hintergründe des Hofes kennt.
Uns erwartete also kein Backsteingebäude, sondern zwei windschiefe Holzhäuschen, die über ein Dach verbunden waren und in einen notdürftig mit einer Plane abgedeckten Unterstand übergingen. Daneben ein alter, verroster Wohnwagen, der einen Hauch von Zirkus versprühte, und vor allem: endlose Weiden, auf denen die Tiere ganz ohne Umzäunung grasten. Renis Familie erlaubte uns auch einen Blick in die Hütte – und siehe da, die Hütte war gar kein Stall! In einer der zwei Hütten wurde Käse aus Schafsmilch hergestellt, in der anderen schliefen zwei Familienmitglieder, auch im Wohnwagen war ein Bett, das gar nicht mal so ungemütlich aussah. Staunen mussten wir aber vor allem über das Bett von Renis Vater: Es befand sich aus Holz und festen Planen zusammengebauten Verschlag direkt neben der Schafsweide, auf der gerade die Schafe gemolken werden – natürlich von Hand, nicht elektronisch. Warum? Nun ja, Renis Familie besitzt zwar ein großes Haus direkt neben der Pension von Irenke, schläft aber im Sommer immer bei den Tieren, draußen in dern Hügeln von Bögöz. Um sie vor Fremden zu schützen – dazu haben sie vier große, lautstarke Hunde zur Hand – aber auch vor wilden Tieren. Vor allem Renis Vater schläft so nah bei den Schafen, um sie gegen Wölfe und Bären zu schützen. Bären und Wölfe? Keine Sorge, versicherte Reni schulterzuckend, die seien eh nur im Frühjahr und Herbst auf der Jagd, im Sommer würden sie sich den Bauch mit Beeren (oder eben anderen Tieren) den Bauch vollschlagen.
Zuerst einmal herrschte großes Unverständnis unter den Kindern darüber, warum man denn nachts immer draußen bei den Tieren schlafen würde, wenn man doch in Bögöz ein großes Haus besäße. Und das noch von April bis November! Dann aber, überlegte sich der ein oder andere, wäre es vielleicht doch ganz spannend, mal ein paar Nächte in der Wildnis zu verbringen, mit bellenden Hunden, blökenden Schafen und sternklarem Himmel. Für den uns angebotenen Schafskäse konnte sich zwar keines der Kinder wirklich begeistern (der war aber auch streng!), an der Lebensweise fand aber doch der ein oder andere gefallen. Schließlich sei es schön, immer draußen zu sein, direkt bei den Tieren, dort, wo die Grillen zirpen und vielleicht ab und zu ein Bär vorbeischaut. Und schließlich, wie es dem schlaftrunkenen Noah auf dem ruckelnden Rückweg auffiel, könne man dann auch jeden Tag den Sonnenuntergang beobachten; der sei schließlich in Rumänien immer viel schöner als in München.