Text: Katalina Farkas
Über uns der Mond, um uns herum nur Wald und Wiesen: Die zweite Nacht haben wir nicht in der Pension von Irenke, sondern unter freiem Himmel verbracht. Auf der Farm von Reni, die wir im vergangenen Jahr schon einmal besucht haben. Hoch über Bögöz thronen die zwei Scheunen und der ausrangierte Bauwagen, die Renis Familie in den Sommermonaten als Unterschlupf dienen. Nicht, dass wir uns falsch verstehen: Sie haben ein hübsches zweistöckiges Haus in Bögöz, direkt neben unserer Pension. Die Sommernächte aber verbringen sie im Hinterland; dort, wo ihre Schafe, Ziegen, Hühner, Schweine und Kühe weiden.
Heute überlassen sie uns die Farm. Nicht die Scheunen, wohlgemerkt, und auch nicht den ausrangierten Bauwagen. Nachdem wir einen Orientierungslauf um und durch Bögöz hinter uns gebracht haben, schlafen wir also jetzt draußen – allen verdutzten Blicken und empörten „Echt jetzt? Ist das nicht voll kalt“-Rufen zum Trotz. Unser Lager schlagen wir auf einer Wiese auf, ohne Zelte, nur auf einer Plane. Wie echte Camper machen wir Stockbrot und Würstchen über einem Feuer, für das Renis Eltern kurzerhand noch einen Baum schlagen, als es zu erlöschen droht. Dann folgen ein paar aufmunternde Worte und ein letztes Winken, schon rauscht ihr Auto in die Nacht und lässt uns allein zurück. Neben uns glimmen noch die letzten Reste des Feuers, in der Ferne funkelt Székelyudvarhely. Ansonsten: vollkommene Dunkelheit, die auch das Licht unserer Taschenlampen nach wenigen Metern verschluckt.
Und was tut man, wenn man in der rumänischen Wildnis liegt, der Heimat von Dracula und anderen blutrünstigen Fiktiv-Fieslingen? Richtig, man erzählt sich Gruselgeschichten: von Mördern und seltsamen Krankheiten, einsamen Dörfern und dunklen Kellern. Dass die Geschichten Satz für Satz übersetzt werden müssen – vom Ungarischen ins Deutsche und andersherum – mindert den Gruselfaktor zwar minimal, nicht aber den Spaß. Die Wolken am Himmel sorgen für milde Temperaturen, und schließlich fallen sogar die, die anfangs noch lauthals verkündet haben, sicher kein Auge schließen zu können, in einen tiefen Schlaf.
In der Nacht dann auf einmal Unruhe: Es raschelt und röchelt am Rande des Bettenlagers, irgendetwas bewegt sich auf uns zu – und zwar gar nicht mal so langsam. Wie war das noch mal mit den Wölfen und Bären in Rumänien? Renis Vater hat uns zwar versichert, dass die im September satt und vollgefressen anderswo in den Wäldern weilen, aber was, wenn doch einer Lust hat auf einen Mitternachtssnack? Immer näher kommt das Rascheln, es will ganz eindeutig zu uns. Es röchelt. Und schnüffelt. Kommt noch ein Stückchen näher – und bellt uns an. Es ist einer der Wachhunde – riesige Tiere, die ebenso furchteinflößend wie schmusebedürftig sind. In diesem Fall ist der flauschige Fellberg aber tatsächlich nur hungrig. Er ist auf der Suche nach Essensresten. Und wird fündig, schließlich haben einige der Kids ihre Stockbrotreste großflächig ums Lager herum verteilt.
Wir haben die Nacht also gut überstanden. Es war ein bisschen kalt, ein bisschen gruselig, ein bisschen regnerisch – und ziemlich wunderschön. Vielleicht, weil wir nachts doch noch die Sterne gesehen haben. Vielleicht, uns ein Hahn geweckt hat. Vielleicht auch, weil sich ein riesiger Wachhund morgens zwischen uns gequetscht hat, um sich ausgiebig kraulen zu lassen. Wahrscheinlich lag es aber vor allem daran, dass uns Bögöz dafür belohnt hat, dass wir die Nacht unter freiem Himmel erfolgreich hinter uns gebracht haben: mit dem wohl schönsten Sonnenaufgang, den es zu bieten hatte.