Gedanken zum Europa-Tag

Am 9. Mai ist Europa-Tag. Vor 65 Jahren entwarf der Franzose Robert Schuman seine Idee von einem vereinten Europa. Heute steht Europa für offene Grenzen, Grenzkontrollen sind Geschichte. Seit Januar 2014 können auch Rumänen ohne Einschränkungen in der EU reisen und Arbeit suchen. Aber wie steht es um die Grenzen in den europäischen Köpfen?

Wir glauben, dass längst nicht alle Grenzen abgebaut sind. Noch immer werden Arbeiter aus Osteuropa als “Armutsmigranten” abgestempelt, werden Einwanderer aus Rumänien (und Bulgarien) mit Vorurteile und Ressentiments willkommen geheißen. Parteien ziehen politisches Kapital, prognostizieren den Untergang des Sozialstaates und beschwören ein Bild von osteuropäischen Schmarotzern, die sich auf nach Westen machen, um dort auf Staatskosten ein entspanntes Leben zu führen.

Was nicht nur populistisch, sondern auch falsch ist: Die befürchtete Einwanderungswelle ist ausgeblieben. Die meisten Rumänen (und Bulgaren) zieht es nicht nach Deutschland, sondern nach Spanien oder Italien. Viele Zuwanderer aus Rumänien sind hoch qualifiziert, besitzen Master- oder Doktortitel. Die Arbeitslosenquote der Rumänen liegt unter der durchschnittlichen Arbeitslosenquote der ausländischen Bevölkerung. Rumänen beziehen weniger Sozialleistungen als andere Einwanderungsgruppen, zeigt das Gazelle-Magazin auf – und selbst im gesamten Durchschnitt zahlen Ausländer in Deutschland mehr Steuern, als sie an Sozialleistungen erhalten, wie die Süddeutsche Zeitung schreibt.

Und was ist mit denen, um die es wirklich schlechter steht? Die keine Schulbildung genossen haben, keinen finanziellen Rückhalt haben, den Zuständen im Heimatland entfliehen wollen? Lisa Caspari schreibt dazu in der Zeit:

Die sogenannten Armutsmigranten von Berlin und Duisburg sind übrigens zum ganz überwiegenden Teil nicht aus kriminellem Ehrgeiz hierher gekommen, sondern weil sie in ihrer Heimat keine Perspektive haben. Es darf nicht vergessen werden, dass viele von ihnen auch in Deutschland unter menschenunwürdigen Bedingungen leben: Für ein paar Stunden pro Nacht und für viel Geld „vermieten“ ihnen Ausbeuter eine Matratze in abbruchreifen Häusern. Und die Einwanderer müssen auf deutschen Baustellen für einen Hungerlohn arbeiten.

Und was hat das alles mit uns zu tun?

Die Aussagen, mit denen Parteien und Einzelne Ressentiments schüren, fassen in Unwissenheit und Unkenntnis des Einzelnen Fuß, in schlichter Ignoranz oder in Berührungsängsten – hier können wir ansetzen, denn Vorurteile können nur durch Begegnung, Austausch und Kennenlernen überwunden werden.

Wir wollen zum Umdenken anregen. Die Teilnehmer unseres Camps, Kinder im Alter von acht bis zwölf Jahren, gehen unvoreingenommen und mit offenen Augen aufeinander zu. Sie verstehen sich, ohne die Sprache des anderen zu sprechen, sind neugierig, begegnen sich vorurteilsfrei. Wenn sie Fragen haben, fragen sie. Zum Beispiel, warum es in Bögöz Familien gibt, die zu acht in zwei kleinen Zimmern wohnen und trotzdem einen Fernseher haben, oder warum viele Kinder nach der Schule mit ihren Eltern auf die umliegenden Felder fahren und dort arbeiten, statt zu spielen. Wir können diese Fragen nicht immer beantworten. Aber es ist gut, sie immer wieder zu stellen, sich für das Fremde, das Unbekannte, zu interessieren. Wir schaffen mit unserem Austausch eine Begegnung auf Augenhöhe. Wir fangen damit an, die verbleibenden Schranken in Europa abzubauen – und tragen so dazu bei, dass rumänischen Einwanderern auch hier, in Deutschland, weniger Vorurteilen begegnen.