Die großen Spiele

Es geht ums Werfen beim Basketball. Ums Passen, Dribbeln, Laufen, Freimachen, Verteidigen, Rebounds holen. Aber das beste Team ist nichts, wenn der Zusammenhalt nicht stimmt. Die Kommunikation auf dem Spielfeld zählt, das Verständnis der Spieler untereinander, für die eigenen und gemeinsamen Stärken und Schwächen.

Um genau diesen Zusammenhalt und die Kommunikation innerhalb des Teams drehte sich der heutige Tag – und natürlich, wie könnte es anders sein, auch um die Freude am Spiel. Neben dem Training standen heute also „die großen Spiele“ auf dem Programm – 14 insgesamt, die die Kids in fünf Teams bewältigen mussten. Zugegeben, ganz so ernst und konzentriert wie sonst manchmal auf dem Spielfeld ging es nicht zu, dafür eignen sich Spiele wie Papierflieger basteln, Penne mit einer im Mund gehaltenen Spaghetti aufsammeln oder sieben Luftballons zu acht über eine Strecke von zehn Metern zu transportieren – ohne die Hände zu benutzen – einfach nicht.

Aber sie setzen voraus, dass man miteinander kommuniziert, auch wenn man die Sprache des Anderen nicht einmal ansatzweise versteht. Das ging natürlich nicht ganz reibungslos, vor allem, weil einige Aufgaben danach verlangten, erst einmal in Ruhe analysiert zu werden. So sah die Aufgabe, mit allen Teammitgliedern durch ein von uns aufgebautes Netz zu klettern, auf den ersten Blick fast zu einfach aus – wäre da nicht die Einschränkung gewesen, dass jedes Teammitglied jedes Feld nur einmal benutzen durfte. Blöd, wenn die Kleinen durch die untersten Felder schnell auf die andere Seite kletterten, und die Großen auf der anderen Seite zurückblieben. Schlauer wäre es gewesen, die Kleineren erst einmal durch die oberen Felder zu heben – auf diese Strategie konnten sich leider nicht alle Teams verständigen.

Für besonders viel Spaß sorgten die Spiele, in denen Wasser von A nach B transportiert werden musste. Zum Beispiel, in dem es von einem Becher in den nächsten gegossen wurde. Der Clou: Der „Einschenkende“ musste den Becher auf dem Kopf halten, der am Boden liegende „Empfänger“ auf der Stirn. Kein Wunder, dass alle Nass waren, bevor der Regen einsetzte.

Die Ruhe, die sich einstellte, während die Kids Schutz vor dem Regen suchten, nutzten die Erwachsenen übrigens nicht zum Ausruhen – sondern zum Basketballspielen.

 

Das große Turnier

Der Tag beginnt mit einer Verspätung. Der Busfahrer, der uns eigentlich um neun hätte einsammeln sollen, ist nicht da. Er habe uns vergessen, erklärt Evi am Telefon, sei aber auf dem Weg. Kurze Zeit später biegt ein verbeulter VW-Bus um die Ecke, aus dem ein kleiner, etwas wortkarger Mann mit Sonnenbrille springt. Vielleicht ist er auch einfach noch verschlafen. Er bedeutet uns, in den Bus zu steigen. Wir sind zu acht, nehmen die Nachzügler aus den umliegenden Dörfern mit; der Rest der Gruppe ist bereits vor einer Stunde mehr oder weniger pünktlich von einem großen Reisebus abgeholt worden, der einen Umweg fahren muss. Wir wollen nach Kézdivásárhely – kurz Kézdi –, das eigentlich nur 75 Kilometer entfernt liegt, und die Straßen dorthin sind nicht besonders gut. Google Maps führt für die Fahrt zwei Stunden Zeit ein, der Reisebus braucht drei. Einige der Straßen sind so schlecht, dass er sie nicht befahren kann, daher der Umweg, der die frühe Abfahrt verlangt.

Eine Dreiviertelstunde später als erwartet macht sich dann auch der VW-Bus auf den Weg – aber nicht nach Kézdivasarhély, sondern in Richtung Udvarhély, erstmal tanken. Mittlerweile sind wir doch ein kleines bisschen verärgert und bemühen uns, unserem Fahrer zu verstehen zu geben, dass wir spät dran sind, woraufhin er versucht, die verlorene Zeit durch waghalsige Überholmanöver aufzuholen. Also Kommando zurück, den Fahrer an Tempolimits erinnern – und in Kauf nehmen, dass wir eben dann ankommen, wenn wir ankommen.

Die Fahrt führt durch sanfte Täler und dunkle Wälder, über schnurgerade Landstraßen und enge Serpentinen. Unser Fahrer entpuppt sich als weniger wortkarg als anfangs erwartet, fragt uns regelmäßig, ob wir eine Pause brauchen, ob die Kids auf den Rücksitzen genug zu trinken haben und wird langsamer, wenn wir Fotos von der vorbeiziehenden Landschaft machen wollen (und, um zeitlich etwas vorzugreifen: Auf der Rückfahrt stimmt er sogar leise in eines der Lieder ein und klopft im Takt mit, zu dem der Rest des Busses lauthals mitsingt).

 

Warum fahren wir nach Kézdi? Weil der Trainer des dortigen Basketballvereins, der sich sonst so aktiv wie kaum ein anderer in der Szeklerliga engagiert, uns eingeladen hat. In den vergangenen Jahren ist sein Team nach Bögöz gekommen, um gegen uns zu spielen, dieses Mal haben sie ein Turnier für uns in Kézdi organisiert. Dort wartet jedoch kein Freiplatz vor Heuballenkulisse und Apfelbäumen auf uns, sondern eine vollausgebaute Dreifelderhalle mit hellglänzendem Parkett, auf die sicher auch einige Münchner Vereine ein bisschen neidisch wären. Die großen Augen der Bögözer Kids lassen jedoch vermuten, dass viele eine so große Halle – in der dazu auch noch Dutzende Kinder und Jugendliche in strahlendblauen Trikots, mit neuen Schuhen und Legwarmern herumspringen – tatsächlich zum ersten Mal sehen.

Vier Spiele sollen heute stattfinden. Und gleich das erste Spiel der U16 entpuppt sich als echte Zitterpartie. Die Hellenen legen vor, setzen sich mit einigen Punkten ab. Doch die Mannschaft aus Kézdi – die heute vor allem aus sehr großen und talentierten Basketballerinnen zu bestehen scheint – zieht nach, gleicht aus, und hat auf einmal mehr Zähler auf der Anzeige stehen als unser Team. Das bringt jedoch weder Sid noch seine Spieler und Spielerinnen aus der Ruhe, die zwar eine Weile hinten liegen, durch eine gute Verteidigung und ein paar glückliche Punkte auf einmal gleichziehen – sechzig Sekunden vor Schluss. Es folgt ein Hin und Her, dann fällt doch noch ein Korb – für uns. Ein paar Sekunden später legt Bence noch einen Buzzerbeater nach, dann pfeift der Schiri ab. 1:0 für uns.

Es folgt das Spiel der Kleinen – allerdings all jener, die schon etwas Basketballerfahrung gesammelt haben. Sie schlagen sich wacker, kämpfen um jeden Ball. Immer wieder pfeift der Schiri zum Jumpball, die meisten davon hat die Mannschaft Mona zu verdanken, die immer wieder mutig dazwischen greift, wenn sich die Chance ergibt. Der Einsatz zahlt sich aus, die Mannschaft gewinnt.

 

Auch das dritte Spiel beginnt ausgeglichen, Aufbau Silver zieht oft von links zum Korb und – wenn er ausnahmsweise nicht trifft – auch das Foul. Einige Freiwürfe werden verwandelt, doch dann hapert es an der Verteidigung und an der Genauigkeit des Passspiels. Kézdi setzt sich ab, während man dem Team aus Bögöz-München anmerkt, dass es eben doch nicht ganz so regelmäßig zusammenspielt. Aufgeben will aber keiner, stattdessen hechten die Kids bis zum Abpfiff jedem Ball hinterher, bleiben an ihren Gegnern dran, ziehen zum Korb, werfen von draußen. Es nützt nichts, am Ende liegen sie hinten.

Die Kleinsten aus Bögöz, von denen viele noch gar keine Basketballerfahrung haben, treten danach an. Die meisten kennen zwar die Fußfolge zum Korbleger noch nicht, tragen ihre BC-Bögözi-Udvar-Trikots aber mit Stolz. Lange ist das Spiel ausgeglichen, es fallen einfach kaum Körbe. Dann aber fallen ein paar, leider in unseren Korb. Am Ende steht es 7:12, begeistert sind die Bögözer Kids trotzdem von ihrem ersten gemeinsamen Spiel. Würde man den Vergleich mit Kézdi suchen, es stünde ausgeglichen. Und vielleicht ist es ja wirklich so, wie es Robel am Ende des Tages formuliert: „Im Großen und Ganzen haben wir alle gewonnen.“

Das gilt nicht zuletzt auch, weil wir alle das ausgesprochen feine Gulasch und Kürtöskalács essen durften, dass die Eltern des Kézdi-Teams für uns vorbereitet hatten. In drei großen Eisentöpfen brodelte die Suppe direkt über dem offenen Feuer, fotografiert werden durfte es nicht, eher der Koch noch einmal umgerührt hatte, man müsse ja die Kartoffeln und das Fleisch auf den Fotos sehen, betont er. Auch wenn Gulasch vielleicht nicht die fotogenste Speise der Welt ist, lecker ist es allemal, vor allem, wenn man Weißbrot und eingelegtes Kraut dazu essen kann – ein Festmahl an der Bierzeltgarnitur. Am Ende bleiben sogar noch ein paar Nachspeisen über. Die Kézdi-Eltern beharren darauf, dass wir sie mitnehmen. Wir hätten ja noch eine lange Fahrt vor uns.

Es war ein langer, anstrengender, aufregender und schöner Tag in Kézdi. Und gewonnen haben wir ja irgendwie auch alle. Auf der Rückfahrt singen wir mit dem Busfahrer, der uns schon wieder überrascht, weil er mehr Lieder kennt, als wir gedacht hätten. Außerdem muss er alle paar hundert Meter für uns bremsen, weil wir Fotos machen wollen. Anscheinend hat es einen regelrechten Sturzregen gegeben, während wir in Kézdi waren. Die Straßen und Wiesen sind nass, das Wasser verdampft in der untergehenden Sonne. Wir schwärmen davon, wie schön Rumänien sei. Unser Busfahrer rümpft die Nase. Ja, schön sei es schon, aber sonst seien viele Dinge schlecht. Die Bezahlung beispielsweise, die Bürokratie. Ob er jemals woanders hinziehen wolle, fragen wir ihn. Er zieht die Augenbrauen hinter seiner großen Sonnenbrille hoch.

Nein, auf gar keinen Fall.

Ehrenmann, Alter!

Neues Jahr, neue Regeln: Im Camp Bögöz ging es heute bereits vor dem Frühstück los – bereits um acht Uhr in der Früh mussten sich unsere Hellboys und Hellgirls beim von der Morgensonne gefluteten schönsten Platz der Welt einfinden. Anscheinend zu früh für einige, die zunächst völlig verschlafen unter dem Korb saßen, während die Uhrzeit den Szeklerjungs und –mädels, die derweil schon munter zockten, gar nichts auszumachen schien.

Erst als das letzte Gähnen unterdrückt war, fingen die „Großen“ mit dem Athletiktraining an. Coach Sid legte besonders viel Wert auf Koordination und Reaktionsfähigkeit. Die Kleinen übten parallel das Ballhandling und probten sich in verschiedenen Abschlussvarianten am Korb. Nach 45 Minuten wurden getauscht. Während es beim Athletiktraining nun etwas spielerischer zuging, passten die Großen hin und her – eine Übung, bei der sich gerade bei den Bögözer Kids noch einige Defizite zeigten. Nach getaner Arbeit – zwei Stunden Training in angenehm kühler Morgenluft – durften die Kids sich dann auf das Frühstück stürzen, danach war Freizeit angesagt. Für den Nachmittag war ein Besuch im Schwimmbad angesetzt.

Weil wir nicht zu spät ins Schwimmbad wollten, rief Irenke schon um 12 wieder zum Mittagessen. Das Hühnchen und den Erbsenreis – Risibisi, im Ungarischen – verschlangen trotzdem alle, auch wenn die meisten Mägen noch vollgewesen sein dürften. Wir nehmen das als Kompliment an Irenke.

Wie immer fuhren wir mit dem Zug nach Székelyudvarhély, der zwar nicht ganz regelmäßig, aber doch immer ungefähr zur selben Uhrzeit den Bögözer Bahnhof anfährt, der aus ein paar alten Holzbalken neben rostigen Schienen besteht. In Deutschland würde er wohl kaum als Bahnhof durchgehen, der dieselbetriebene Zug, der uns kurze Zeit später einsammelte, schien im Gegenzug geradezu futuristisch. Nach knapp zehn Minuten Fahrt und weiteren zehn Minuten Fußmarsch erreichten wir das Freibad. Dort amüsierten sich Bögözer und Deutsche zusammen an den Rutschen, am zwei-Meter-Brett, sowie beim gemeinsamen Wasserbasketball. Auch versuchten einige der Jungs, den Coaches einen Vorwärtssalto vom Sprungbrett beizubringen, was nur Miri halbwegs gelang. Dennoch – oder gerade deshalb – hatten alle viel Spaß in den knapp drei Stunden, die wir zusammen verbrachten.

Auf dem Rückweg waren die meisten Kids vom Schwimmen zwar schon völlig erschöpft, aber Ausruhen war erst für später angesetzt, zunächst wartete noch eine weitere zweistündige Trainingseinheit zusammen mit den Bögözern. Im Athletiktraining wurde nun vor allem auf defensive Koordination geachtet. Dann wurden ein paar Spiele gespielt, bei denen sowohl Sid als auch einige der deutschen Kids ein paar Brocken Ungarisch lernten. Im Laufe des Tages hatten die Münchner den Szeklern schon ein paar Worte beigebracht. Absoluter Favorit unter den neu erlernten Worten: Ehrenmann.

Als nach einem langen Tag endlich das Abendessen, stürzten sich alle wie verhungert auf Griesbrei mit Zimt – und waren froh, nach dem harten Training endlich wieder essen zu können. Der lange und intensive Tag machte sich bei allen bemerkbar, und so fiel die Besprechungsrunde doch sehr kurz aus.

Dabei geht es am nächsten Tag genau so intensiv weiter – wir fahren zum Turnier nach Kézdivasárhély!

 

We’re back!

Der erste Tag in Bögöz ist wie im Flug vergangen – und es war gar nicht schwer, sich wieder einzuleben. Los ging es für die Hellenen schon am Vorabend beim Check-in, wo die Kids ihre Koffer vorab aufgeben konnten. Denn das wäre vor dem Flug 8:45 Uhr nach Sibiu (Herrmannstadt) vielleicht doch etwas zu stressig geworden.

Die Reise startete durch den frühen Flug nämlich schon um 6:45 Uhr – morgens. Für die meisten bedeutete das, dass sie sich bereits um 5 aus den Betten quälen mussten, was man vielen Gesichtern am Flughafen anmerkte. Nach der Ausgabe der Trikots verabschiedeten sich die Kids von den Eltern, machten sich auf durch die Sicherheitskontrolle und gingen zum Gate, wo sich Katalina und Aron anschlossen, die aus Köln angereist waren – für sie war der Tag bereits um viertel vor vier gestartet. Der Flug nach Sibiu war ruhig und ohne nennenswerte Turbulenzen, sodass wir pünktlich um 11:30 Uhr Ortszeit am Flughafen Sibiu ankamen, wo bereits ein Busfahrer auf uns wartete.

Kaum eingestiegen, beschwerten sich die Jungs über fehlende Klimaanlage, die aber dann doch eingeschaltet wurde und langsam, aber sicher, ihre Arbeit aufnahm. Zweieinhalb Stunden Fahrt waren angedacht, aber schon nach einer Stunde steckten wir im Stau fest. Die Kids beschäftigten sich mit Kartenspielen und diskutierten munter, während einige doch ein paar Stunden Schlaf nachholten. Um 15:10 Uhr war es endlich soweit und unser Bus erreichte die Pension von Irenke ­– unter dem Jubel der Mitfahrenden.

Dort wartete eine kleine Überraschung auf uns: Der Hof wurde im vergangenen Jahr umgebaut. Aus der Scheune wurde ein weiteres Gästehaus, mit offenen Schlafzimmern unter dem Dach und einem Aufenthaltsraum im Erdgeschoss. Nachdem alle Teilnehmer ihre Zimmer bezogen hatten, wartete auch schon das Mittagessen, das Irenke wie immer für uns zubereitet hatte: selbstgestampfter Kartoffelbrei und Schnitzel, die – nachdem dann auch der heißgeliebte Ketchup auf dem Tisch stand – bei allen sehr herzlich aufgenommen und ziemlich schnell verspeist wurde.

Nach dem Essen ging es dann endlich auf den wohl schönsten Freiplatz der Welt, zusammen mit den Bögözern. Von den heimischen Kids waren so viele erschienen, dass wir spontan ein kleines Turnier mit vier Mannschaften organisieren konnten. Nach dem ersten Spiel überreichten uns einige Eltern, die zum Zuschauen vorbeigekommen waren, etwas ganz Besonderes: Zum Dank für unsere Mühen überreichten sie uns einen Kalender mit Bildern der Bögözer Kids und einen Präsentkorb mit Marmelade und vielleicht auch dem ein oder anderen Schnaps.

Im Anschluss an das Turnier gab es ein großes Get-Together – natürlich mit Gulasch und einer deftigen Nachspeise, Ausg’zogene. Danach folgte für die Münchner Kids wie immer die Fazit-Runde. „Cooler Tag“, war das nicht ganz differenzierte, aber doch einhellig begeisterte Fazit aller Kinder. Das Wiedersehen mit den rumänischen Freunden war ebenfalls „cool“, und viele versprachen, trotz der Sprachbarriere die Kommunikation zu verbessern.

Im Großen und Ganzen war vieles wie in früheren Jahren, und doch einiges anders. Es freuen sich aber alle auf den kommenden Tag, denn dann geht das Training richtig los – und es geht ins Schwimmbad.

Markttag

20 Umzugskartons voller Kleider, Jacken, Hemden und Schuhen: Am Samstag haben wir in Bögöz einen Flohmarkt veranstaltet. Unterstützt haben uns die Mallersdorfer Schwestern, denen wir schon im vergangenen Jahr einen Besuch abgestattet haben. Sie haben in Bayern Kleidung gesammelt und den Transport organisiert. Herzlichen Dank dafür!

Im Vorfeld des Flohmarktes war uns schon etwas mulmig zumute. Was, wenn niemand kommen würde. Oder wenn das genaue Gegenteil eintreten würde und uns die Bögözer die Bude einrennen würden? Was, wenn wir den Überblick über die Einnahmen verlieren würden? Was, wenn der Verkauf an Sprachbarrieren scheitert?

Dass zumindest unsere erste Sorge unbegründet war, zeigte sich schon am frühen morgen. Schon um viertel nach neun, eine Dreiviertelstunde vor dem offiziellen Beginn, standen Leute vor dem beeindruckenden Szeklertor von Irenkes Pension. Sie mussten warten, schließlich musste zuerst noch alles aufgebaut werden. Tische und Bänke wurden verschoben, Kleider sortiert, Preisschilder aufgestellt, Geldbeutel verteilt. Das Sortieren hätten wir uns sparen können – um zehn nach zehn, kurz nach Beginn des Flohmarkts, sah es aus, als wäre eine riesige Kleiderbombe explodiert. Begeistert wühlten sich die Bögözer von Stapel zu Stapel – dazu hat vielleicht auch beigetragen, dass wir die Preise bewusst niedrig gehalten haben. 4 RON für Hosen, 8 RON für Winterjacken sind selbst für rumänische Second-Hand-Verhältnisse fast lächerlich. Aber es ging uns ja auch nicht um den Profit. Wir wollten Einnahmen sammeln für unser Projekt – und auf das Team und das Feld aufmerksam machen.

Noah, Silver und Niven haben dabei ihr Talent fürs Verkaufen entdeckt und den ganzen Tag fleißig kassiert. Während andere Kinder Basketball oder im Garten gespielt haben, liefen die drei unermüdlich von Kunde zu Kunde, um Geld einzusammeln und Wechselgeld herauszugeben. Trotz der niedrigen Preise war der Flohmarkt ein voller Erfolg: Gegen 15 Uhr hatten wir bereits 2.200 RON zusammen. 500 Euro!

Ein Teil des Geldes ging an die Schule in Székelyudvarhely, in deren Halle die Bögözer Kids im vergangenen Winter trainiert haben. 50 Euro haben wir Schwester Michaela zukommen lassen, die den Transport der Kisten nach Rumänien organisiert hat. Mit dem Rest können wir die Trainer bis Ende Oktober bezahlen, wenn sie zwei Mal in der Woche trainieren – vorausgesetzt, das Wetter spielt mit.

Kanu und Kino

Als den Stausee vor zwei Jahren besucht haben, hat es in Strömen geregnet. Dieses Mal hatten wir etwas mehr Glück mit dem Wetter. Und haben gelernt, dass es auch ohne eine gemeinsame Sprachbasis möglich ist, ein Kanu zu steuern. Obwohl… das ein oder andere Münchner Kind hat sich auch der ungarischen „Links-zwo-drei-vier“-Variante versucht, um den Paddeltakt vorzugeben: egy, kettö, három, negy…, egy, kettö, három, negy…

Kanufahren in Rumänien
So sah es vor zwei Jahren aus. Nass sind wir geworden. Und Schuld daran war nicht der See.

Abends stand dann Kultur auf dem Programm: Ein Kurzfilm sollte den Kindern eine der Szeklerlegenden näherbringen. In der Geschichte geht es um böse Feen, gewitzte Hähne und einen mutigen Flötenspieler. Geschaut wurde mit einem Beamer – dessen Bild wir kurzerhand auf die Scheunenwand projiziert haben. Geisterhaft und wunderschön!

Gewinner

Dreizehn Monate sind vergangen, seit wir das letzte Bögözer Basketballcamp mit einem großartigen Turnier abgeschlossen haben. Dreizehn Monate, in denen sich die Münchner Kids jede Woche in der Halle getroffen und an den Wochenenden Spiele bestritten haben. Was ist in der Zeit in Rumänien passiert?

Auch die Szekler haben trainiert. Sie haben Wind und Wetter getrotzt, haben sich noch bei Temperaturen im einstelligen Bereich auf dem Platz getroffen um zu dribbeln, zu passen und zu werfen. Im Winter sind sie einmal in der Woche nach Székelyudvarhely gefahren, um dort in einer kleinen Halle zu trainieren. „Da war es aber stickig“, sagt Réka. Man sieht ihr an, dass sie nicht viel von der Halle hält. Der Platz in Bögöz würde ihr besser gefallen. Und auch wenn immer noch nicht jeder Wurf sitzt, viele Pässe eher Bogenlampen als Geraden gleichen und das Dribbeln mit der linken Hand noch immer nicht allen ganz leicht fällt: Sie haben riesengroße Fortschritte gemacht.

Das ist auch den Münchner Kindern aufgefallen. „Letztes Jahr sind sie einfach losgerannt, wenn sie den Ball bekommen haben, völlig kopflos“, erzählt Silver. „Jetzt überlegen sie erst mal, was sie machen wollen.“ Auch Yanick ist voller Lob. „Die haben sich total verbessert“, sagt er, als wir uns am Dienstagabend treffen, um über den Tag zu sprechen.

Und die Bögözer Kids, was sagen sie zum Training? Bálint ist begeistert, gibt aber zu, dass er sich in der Defense noch deutlich verbessern muss. Stolz ist er auf seine Drei-Punkte-Würfe. Wie zum Beweis versenkt er nur kurze Zeit später einen Ball von der Dreierlinie aus im Korb. Réka findet, dass sie eigentlich schon alles ganz gut kann. Das ist zwar leicht übertrieben, schlecht schlägt sich die Zwölfjährige aber nicht auf dem Spielfeld. Und Reni? Ganz gut gefällt es ihr, sagt sie lächelnd. Das wiederum ist vielleicht leicht untertrieben. Reni hat bislang noch kaum ein Training verpasst – und holt seit ein paar Wochen jede Woche ihre Cousine Adele vor dem Training ab, weil die auch gerne mitspielen wollte. Adele wohnt im nächsten Dorf, vierzig Fußminuten von Bögöz entfernt. Und weil sie sich vor den Wachhunden fürchtet, die sie auf dem Weg durch die Felder nach Bögöz passieren muss, holt Reni sie eben ab. Und bringt sie wieder zurück, wenn sich niemand findet, der Adele abholt. Vierzig Minuten hin, vierzig Minuten zurück. Einmal in der Woche. Darauf angesprochen, lächelt sie nur schüchtern und hebt abwehrend die Hände. Man hilft sich eben, hier in Bögöz.

Das Turnier

Am Donnerstag haben die Bögözer Kinder die Gelegenheit, sich zu beweisen – gemeinsam mit den Münchnern. Drei Mannschaften sind angereist, aus Székelyudvarhely, Kézdivásárhely und Czíkszereda, um beim zweiten Bögözer Turnier gegen zwei gemischte Bögözer Teams anzutreten. Das Wetter meint es gut mit uns und schickt einige Wolken, sodass die ersten Spiele nicht in der prallen Sonne stattfinden müssen. Die Bänke und Strohballen am Spielfeldrand sind gut gefüllt, sogar der stellvertretende Bürgermeister von Bögöz und eine Journalistin sind da.

Der Favorit des Turniers kristallisiert sich schnell heraus: Das Team aus Székelyudvarhely ist nicht nur deutlich erfahrener als der Rest, sondern überragt die restlichen Spieler auch um Längen. Ärgerlich, aber geschenkt. Dafür ist es umso schöner, dass alle anderen Teams auf einem ähnlichen Niveau spielen und sich spannende Wettkämpfe liefern. Die Mannschaft aus Kézdivásárhely bedankt sich hundertfach für die Einladung und beteuert, wie sehr sich die Bögözer Kids verbessert hätten. Sie wollen unbedingt im nächsten Jahr wieder anreisen, zum dritten Bögözer Basketballturnier. Am meisten aber freut uns, wie sich unsere Bögözer Mannschaften schlagen. Szekler und Münchner spielen, als würden sie auch sonst gemeinsam trainieren. Dass sie dabei den zweiten und den dritten Platz belegen: umso schöner. Fühlen dürfen sie sich wie Gewinner.

 

Busfahren

Und dann ist tatsächlich mal wieder alles anders gekommen, fast so, als hätten wir es vorhergesehen: Unser Busfahrer hat uns versetzt, keine Spur von ihm weit und breit. Vor einer halben Stunde hätten wir Irenkes Hof hätten verlassen sollen, um nach Szentábrahám zu fahren. Wir wollen Sandys Freundin Emese besuchen, die dort Kräuter und Heilpflanzen anbaut. Im Moment sieht es aber nicht so aus, als könnten wir den Hof in nächster Zeit verlassen.

Was tun? In der Pension schauten uns fragende Kinderaugen an – schließlich haben sie schon einiges geschafft heute, haben in der Frühe zwei Mal die Kirche umrundet, drei Stunden auf dem Freiplatz gespielt und ein schnelles Mittagessen verputzt. Jetzt wollen sie los. Obwohl, so richtig stört es sie auch nicht, dass sie noch ein bisschen länger auf dem Trampolin herumturnen können. Vom Bus ist auf jeden Fall immer noch nichts zu sehen, kein Wunder, am Telefon erklärt ein zerknirschter Busfahrer gerade, dass er uns einfach vergessen hat, und jetzt auch leider keinen anderen Bus schicken kann. Und nun? Den Besuch abblasen wollen wir nicht. Taxis für alle – heute fahren deutsche und Szeklerkinder zusammen – würden aber unser Budget sprengen. Und außerdem zeigt sich auch die Taxistation wenig kooperativ: Taxis schicken könne man erst später, im Moment seien alle unterwegs. Weil wir auch nicht so richtig weiterwissen, kaufen wir erst einmal Eis für alle.

In Rumänien kann man sich darauf verlassen, dass auf nichts Verlass ist. Aber auch auf den endlosen Einfallsreichtum und den ungebrochenen Willen, aus jeder Situation das Beste zu machen. Gesagt, getan. Ein paar Dutzend Anrufe später trommelt ein Nachbar seine Mitarbeiter zusammen, lässt sie ihre Autos anschmeißen und uns nach Szentábrahám fahren. Er selbst fährt auch, in seinem eigenen Auto. Aus den fragenden werden große Kinderaugen, es handelt sich dabei nämlich um einen Hummer.

Eine halbe Stunde später stehen wir inmitten eines wilden Kräutergartens und erleben ein vollkommenes Kontrastprogramm zum vormittäglichen Basketball. Wir lernen, wie viele Sorten Minze es gibt, welche Kräuter Krankheiten heilen und wie die Rose von Damaskus riecht. Wir schauen einer dressierten Katze beim Sitzmachen zu, streicheln zottelige Hunde, sortieren Kräuter und packen Tee ab. Und dann geht es auch schon wieder zurück, zum Training.

Dort wartet heute nämlich eine Überraschung auf die Szeklerkinder: zwei neue Trainer, die sich bereiterklärt haben, das Training für das nächste Jahr zu übernehmen. Attila und Szabi haben in Székelyudvarhely vom BC Bögözi Udvar gehört und ihre Hilfe angeboten. Die einzige Bedingung: Sie wollen das Training zusammen übernehmen. Die beiden verstehen sich blind, das sieht man nicht nur ihrem wilden, aber ziemlich genauen Passspiel an. Ihre Ziele für das nächste Jahr: viel trainieren, viel spielen, Übungstourniere veranstalten und zu Auswärtsspielen fahren. Sie haben einiges vor sich, so viel ist sicher. Und wir sind uns sicher, dass sie das Beste aus der Situation machen werden. Nicht nur, weil man das eben so macht in Rumänien. Sondern auch, weil sie ein verdammt motiviertes Team haben werden.

Draußen schlafen

Über uns der Mond, um uns herum nur Wald und Wiesen: Die zweite Nacht haben wir nicht in der Pension von Irenke, sondern unter freiem Himmel verbracht. Auf der Farm von Reni, die wir im vergangenen Jahr schon einmal besucht haben. Hoch über Bögöz thronen die zwei Scheunen und der ausrangierte Bauwagen, die Renis Familie in den Sommermonaten als Unterschlupf dienen. Nicht, dass wir uns falsch verstehen: Sie haben ein hübsches zweistöckiges Haus in Bögöz, direkt neben unserer Pension. Die Sommernächte aber verbringen sie im Hinterland; dort, wo ihre Schafe, Ziegen, Hühner, Schweine und Kühe weiden.

Heute überlassen sie uns die Farm. Nicht die Scheunen, wohlgemerkt, und auch nicht den ausrangierten Bauwagen. Nachdem wir einen Orientierungslauf um und durch Bögöz hinter uns gebracht haben, schlafen wir also jetzt draußen – allen verdutzten Blicken und empörten „Echt jetzt? Ist das nicht voll kalt“-Rufen zum Trotz. Unser Lager schlagen wir auf einer Wiese auf, ohne Zelte, nur auf einer Plane. Wie echte Camper machen wir Stockbrot und Würstchen über einem Feuer, für das Renis Eltern kurzerhand noch einen Baum schlagen, als es zu erlöschen droht. Dann folgen ein paar aufmunternde Worte und ein letztes Winken, schon rauscht ihr Auto in die Nacht und lässt uns allein zurück. Neben uns glimmen noch die letzten Reste des Feuers, in der Ferne funkelt Székelyudvarhely. Ansonsten: vollkommene Dunkelheit, die auch das Licht unserer Taschenlampen nach wenigen Metern verschluckt.

Und was tut man, wenn man in der rumänischen Wildnis liegt, der Heimat von Dracula und anderen blutrünstigen Fiktiv-Fieslingen? Richtig, man erzählt sich Gruselgeschichten: von Mördern und seltsamen Krankheiten, einsamen Dörfern und dunklen Kellern. Dass die Geschichten Satz für Satz übersetzt werden müssen – vom Ungarischen ins Deutsche und andersherum – mindert den Gruselfaktor zwar minimal, nicht aber den Spaß. Die Wolken am Himmel sorgen für milde Temperaturen, und schließlich fallen sogar die, die anfangs noch lauthals verkündet haben, sicher kein Auge schließen zu können, in einen tiefen Schlaf.

In der Nacht dann auf einmal Unruhe: Es raschelt und röchelt am Rande des Bettenlagers, irgendetwas bewegt sich auf uns zu – und zwar gar nicht mal so langsam. Wie war das noch mal mit den Wölfen und Bären in Rumänien? Renis Vater hat uns zwar versichert, dass die im September satt und vollgefressen anderswo in den Wäldern weilen, aber was, wenn doch einer Lust hat auf einen Mitternachtssnack? Immer näher kommt das Rascheln, es will ganz eindeutig zu uns. Es röchelt. Und schnüffelt. Kommt noch ein Stückchen näher – und bellt uns an. Es ist einer der Wachhunde – riesige Tiere, die ebenso furchteinflößend wie schmusebedürftig sind. In diesem Fall ist der flauschige Fellberg aber tatsächlich nur hungrig. Er ist auf der Suche nach Essensresten. Und wird fündig, schließlich haben einige der Kids ihre Stockbrotreste großflächig ums Lager herum verteilt.

Wir haben die Nacht also gut überstanden. Es war ein bisschen kalt, ein bisschen gruselig, ein bisschen regnerisch – und ziemlich wunderschön. Vielleicht, weil wir nachts doch noch die Sterne gesehen haben. Vielleicht, uns ein Hahn geweckt hat. Vielleicht auch, weil sich ein riesiger Wachhund morgens zwischen uns gequetscht hat, um sich ausgiebig kraulen zu lassen. Wahrscheinlich lag es aber vor allem daran, dass uns Bögöz dafür belohnt hat, dass wir die Nacht unter freiem Himmel erfolgreich hinter uns gebracht haben: mit dem wohl schönsten Sonnenaufgang, den es zu bieten hatte.

 

Ankommen

Wie sieht Bögöz aus, wenn man es zum ersten Mal sieht? „Hier gibt es nur Wohnhäuser“, sagt Theresa schulterzuckend, „und gar keine Läden, in denen man einkaufen kann“. „Aber die Landschaft ist total schön“, beteuert Charlotte, „und die vielen Tiere sind es auch“. Wohnen wollen die beiden hier nicht – aber spannend finden sie es schon.

Um ehrlich zu sein: Charmant sieht Bögöz aus, spektakulär ist es nicht. Kleine Häuser säumen die Straßen, bunter Putz blättert von den Fensterläden, öffentliche Gebäude gibt es tatsächlich nur wenige. Eine Schule, einen Supermarkt, eine Kneipe. Eine kleine Kirche, die nicht wirklich oft von Touristen besucht wird. Der Bahnhof ist kaum mehr als ein schmaler Asphaltstreifen neben den Schienen, stünde das Schild nicht dort, man könnte ihn glatt übersehen.

In diesem Jahr sind viele dabei, die Bögöz am Sonntag zum ersten Mal gesehen haben. Für sie ist alles neu. Die Kirche, der Supermarkt, der Nicht-Wirklich-Bahnhof. Wieder andere haben das Dorf im vergangenen Jahr kennengelernt, vor zwei Jahren oder vor mehr als einem Jahrzehnt. Wir wussten was uns erwartet. Irgendwie. Denn auch für uns ist alles neu. Wenn wir eines in den vergangenen Camps gelernt haben, dann ist es, dass immer alles anders kommt als gedacht. Nichts ist vorhersehbar. Das Wetter ebenso wenig wie die Gruppendynamik, der rumänische Busfahrplan schon gar nicht. Insofern erwartet auch uns viel Unbekanntes. Auch wir sehen Bögöz in diesem Jahr gewissermaßen zum ersten Mal.

Wir sind gespannt, wie es aussehen wird.