Text: Katalina Farkas

Der Besuch hat seine Spuren hinterlassen. Keine sichtbaren, eher einen schalen Nachgeschmack, einen Schatten, der noch lange an den Gedanken klebt wie ein Kaugummi unterm Schuh. Er stört nicht, aber er ist da, meldet sich bei jedem Schritt, will beachtet und nicht länger ignoriert werden. Lenkt die Gedanken immer wieder auf die eine Frage. Was wollten wir da? Ja, was wollten wir eigentlich da, an diesem Platz, an diesem Nicht-Ort, an dem Hütten stehen aber keine Zuhause, houses but no homes?

Wir sind zurück bei Irenke, und wir diskutieren hitzig. Keine zehn Minuten sind vergangen, dass wir aus staubigen Taxis ausgestiegen sind, dem Polizisten noch einmal zugewunken und das alte Szeklertor hinter uns geschlossen haben, wieder eingetaucht sind in die Idylle der kleinen Pension. Doch der grüne Rasen, der hohe Baum und die in Würde alternde Scheune haben keine Chance gegen die Bilder in unserem Kopf. Den Staub, der noch in den Kleidern hängt, die Erinnerung an die stechenden Gerüche. Im Hintergrund füllt Evi ein Planschbecken mit Wasser und Desinfektionsmittel, sie will unsere Schuhe waschen. Sicher ist sicher. Was wollten wir da?

Das versuchen wir herauszufinden. Lautstark. Wir wollten ein Dorf besuchen, in dem Roma leben. Gemeinsam mit Tobias Walzok, einem Deutschen, der dort einmal im Jahr ein kirchliches Ferienlager veranstaltet mit Jugendlichen aus Sachsen. Eine Woche campen die Jugendlichen dann vor den Toren von Nagygalambfalva, spielen gemeinsam mit den Roma Theater, singen, kochen und backen, eine Woche erkunden sie das Land (mehr dazu hier). Die Roma kennen ihn, das Camp – Rüstzeit genannt – findet bereits seit sieben Jahren statt. Tobias sollte unsere Brücke sein, über ihn wollten wir die Roma und Romnija kennenlernen.

Tobias war nicht da.

Es muss einem Übersetzungsfehler geschuldet gewesen sein, oder der spontanen Planung, aber an dem Tag, an dem wir das Dorf besuchen wollten, befand der Jugendwart sich mit seiner Gruppe irgendwo im rumänischen Hinterland, weit weg von Nagygalambfalva. Wahrscheinlich hatten wir ihn nicht richtig informiert, er wusste vielleicht nicht einmal von unserem Besuch in Nagygalambfalva. Stattdessen wurden wir von einem trägen Polizisten eskortiert, der sich zwar rauchend im Hintergrund hielt und nur hier und da ein paar Worte wechselte, dessen Präsenz und Dienstwaffe dem Besuch aber auch eine drückende Bedrohlichkeit verliehen, gerade so als würden die Dorfbewohner sich auf uns stürzen, würde er wegsehen.

Auf jeden Fall ist Tobias nicht da, als unsere Taxis den Staub der Schotterwegs aufwirbeln, als wir auf die Siedlung zufahren. Sie liegt außerhalb von Nagygalambfalva, fernab der getünchten Häuser, der Blumen in den Vorgärten und den asphaltierten Straßen. Sie liegt weit draußen, dort, wo man sie vom Ort aus nicht sieht. Dort, wo man schnell vergessen kann, dass sie existiert. Die Ansammlung eine Siedlung zu nennen, ist fast schon zu viel, es sind versprengte Hütten, Wände aus aufgesprungenem Lehm, die Löcher in den vergilbten Ziegeldächern mit Plastiktüten geflickt. Es könnte ein Filmset sein, so unwirklich scheint der Ort, mehr Kulisse als Wirklichkeit.

Von weitem wirkt das Dorf wie verlassen, aber das Schnurren der Motoren lockt die Menschen ans Licht. Immer mehr Menschen kommen aus ihren Hütten hervor, blinzeln in grelle Sonne und uns entgegen. Als die Autos anhalten, müssen es Dutzende sein. Wir starren. Sie starren. Die Sonne brennt.

Zum Glück ist Evi dabei, die Unermüdliche, natürlich hat sie auch wieder ihren Sohn Imike dabei, natürlich geht sie voran, als wäre sie andauernd hier, plaudert, grüßt, nickt den Menschen zu. Langsam kommt Bewegung in die Sache. Wir gehen erst einmal hinterher, unsicher, nicht wissend, wohin wir zuerst schauen sollen oder wohin lieber gar nicht. Auf den Boden lieber nicht. Scherben liegen dort im Staub, Papierfetzen, Essenreste. Verdautes. Die meisten Kinder sind nackt, warum auch nicht, es ist unerträglich heiß, vielleicht fehlen aber auch einfach die Kleider, wir wissen es nicht. Sie lachen uns zu, verstohlen, aber aufrichtig, verstecken ihre kleinen Gesichter hinter dreckigen Fingern, spielen das Spiel, das alle kleinen Kinder spielen.

Ein paar Gespräche entwickeln sich, langsam, abtastend, stockend, schließlich sind heute nur zwei Erwachsene dabei, die Ungarisch sprechen. Mehr als Winken und Lächeln ist für den Rest nicht drin. Die Sonne flimmert am Himmel, wir schwitzen, es ist heiß. Den Roma scheint die Hitze nichts auszumachen. Sie sind wild, schön und stolz. Die Haare sind verfilzt, die Kleider voller Flecken, aber die Augen blitzen. Ein paar Kinder fragen nach unseren Namen, singen von Zahlen und dem Alphabet, auch ein paar Sätze auf Deutsch können sie aufsagen. Sie haben sie bei Tobias Walzok und seiner Jugendgruppe gelernt. Die älteren Mädchen necken uns, singen Lieder, deren Inhalt Evi nicht übersetzen will. Mädchen sind sie eigentlich schon lange nicht mehr, wenn überhaupt, dann nur noch auf dem Papier. 14 sind sie, 15 und 17, wenn man ihnen glauben will. Aber ihre Körper gleichen schon längst denen von Frauen, nicht zuletzt deshalb, weil auch sie schon Kinder zur Welt gebracht haben. Am Rand von Nagygalambfalva läuft die Zeit anders. Ängstlich sehen sie nicht aus, ganz im Gegenteil, sie wissen, sich zu behaupten. Wohl auch, weil Alkohol und Gewalt regelmäßig zu Gast sind in Nagygalambfalva.

Die Mädchenmütter fragen, ob wir Zigaretten haben, aber als wir verneinen, zucken sie nur mit den Schultern und lachen. Ob wir hineinkommen wollen in eine der Hütten? Hier wohne eine Familie, sieben, acht, neun Menschen in zwei Räumen, die eher einem Stall gleichen, vielleicht sind es auch mehr. Drei durchgelegene Betten. Auf den pinken Decken Blumenmuster, auf den Schränken Jägermeister.

Draußen haben die Romakinder ihre Scheu abgelegt, kommen näher, bilden einen Kreis um zwei der Münchner Kinder, piesacken sie. Den beiden Münchnern ist die Aufmerksamkeit sichtbar unangenehmen, sie wollen weg, zurück zum Taxi, verständlich. Andere stellen Fragen, aber die Übersetzung läuft holprig und manchmal nur über drei Ecken.

Auch unser Taxifahrer schüttelt nur den Kopf, als wir den Ort eine Stunde später wieder verlassen. Piszkos, zischt er verächtlich, als das Dorf im Rückspiegel verschwindet: dreckig.

Und jetzt sitzen wir hier in Irenkes Garten, essen Eis und trinken Limo, und diskutieren, streiten. Was wollten wir da? Warum sind wir in dieses Dorf gefahren, ohne Berührungspunkte, ohne zu wissen, wie es wird, einfach so? Weil es zu Rumänien gehört? Weil es ein drängendes politisches Thema ist? Weil wir den Kindern Armut zeigen wollten, ohne Rücksicht auf Verluste? Weil wir einfach mal gucken wollten, wie andere Menschen so leben? Haben wir Vorurteile geschürt? Uns am Elend anderer ergötzt?

Und was bedeutet das eigentlich, Elend? Legen wir hier nicht unsere Maßstäbe an? Können wir uns ein Urteil überhaupt erlauben? Wie viel Ablehnung und Hass Roma in Rumänien – und anderen Teilen der Welt – erfahren, wissen wir, aber steht es uns in diesem Moment zu, darüber zu urteilen, ob die 14-jährige Mutter glücklich ist? Am Ende bleiben wir mit vielen Fragen zurück. Eine Antwort haben wir nicht gefunden. Wir hätten uns besser vorbereiten müssen, soviel ist klar. Hätten uns mit Tobias absprechen sollen, der die Menschen kennt, sich auf gewohntem Terrain bewegt hätte, Ungarisch spricht.

Und was haben die Kinder überhaupt mitgenommen? Haben wir sie erschreckt? Haben sie vielleicht jetzt mehr Angst als vorher, haben sie Vorurteile entwickelt? Im Hintergrund wäscht Evi unsere Schuhe ab, nur zur Sicherheit, wie sie beteuert, aber wie verstehen das die Kinder? Dass man sich nach einem Besuch bei den Roma selbst die Schuhe waschen muss, weil sie piszkos sind, dreckig? Nein, von dem Bottich voller Kernseife bekommen die Kinder gar nichts mit, sie planschen eh schon wieder im Pool.  Aber wie werden sie in ein paar Stunden darüber denken?

Das Resümee fällt nüchterner aus als erwartet: Naja, da hätten halt viele Menschen in einem Dorf gelebt, in dem die Häuser sehr klein und dreckig gewesen seien, voll krass, auch, dass viele so gar keine Klamotten angehabt hätten, piepsen die kleinen Kinderstimmen. Und echt voll krass, dass die da gar keine Handys gehabt hätten, nicht mal Tastenhandys oder so, kommt es zögerlich aus einer anderen Ecke. Aber, bemerkt Robinson, wäre ja auch eigentlich ganz cool so ohne Handy, da hätte man ja viel mehr Zeit für andere Sachen, oder?

Jeder hat etwas anderes aus dem Dorf für sich mitgenommen. Viele Eindrücke, viele Bilder. Viele Fragen und kaum Antworten. Was uns Erwachsenen – und vielleicht auch dem ein oder anderen Kind – klargeworden ist: Wir wissen nicht viel, und ein Urteil, und dann noch ein schnelles, können wir uns nicht erlauben. Aber wir können weiter hinsehen, hinterfragen, Hände reichen. Wie Tobias und seine Jugendlichen.

Text: Katalina Farkas

Heute gab es eine kleine Planänderung: Weil für den Nachmittag schlechtes Wetter angesagt war, mussten wir unseren Ausflug, eine Kutschfahrt in die umliegenden Hügel, verschieben. Kurzerhand disponierten wir um – in Rumänien nicht unüblich – und verschoben die Fahrt auf abends nach dem Training. Nach den morgendlichen Übungen stand also auf einmal jede Menge Freizeit auf dem Programm – glücklicherweise bot der Hof mit dem kleinen Pool, einem Trampolin und zwei Hollywoodschaukeln jede Menge Möglichkeiten, die Kinder auf Trab zu halten, die zwei mitgebrachten Quartette (Harry Potter und Rennboote) unterhielten den Rest. Endlich hatten auch die Coaches mal ein paar Stunden für sich, die sie direkt zum Zwei-gegen-Zwei-Duell nutzten, von dem sie auch der angekündigte Regenschauer nicht abhalten konnte.

Gegen Abend hatte sich der Regen zum Glück so weit verzogen, dass Training und Ausflug stattfinden konnten. Belohnt fürs Ausharren wurden wir mit einem knallroten Himmel und wild dahinjagenden Wolken. Die Kutschfahrt fand auf zwei hölzernen Wagen statt, die Anfang des 20. Jahrhunderts vielleicht mal zwei schicke Flitzer gewesen waren, jetzt aber hauptsächlich Heu und Stroh transportierten – oder zwischendurch eben mal 21 Nasen aus München. Über Stock und Stein ging es mal mehr, meist weniger rasant voran, und die zwei dunklen, schweren Pferde, die jeweils vor den Wagen gespannt waren, machten nicht den Anschein, als würde sie die Fracht überanstrengen.

Während wir im letzten Jahr – ja, die Kutschfahrt hat uns so gut gefallen, dass wir sie gleich noch mal ins Programm genommen haben – einfach in die Hügel gefahren waren, um nach einer Rast mit Spieleinlage wieder umzukehren, hatten wir diesmal ein ganz besonderes Ziel: Den Hof von Reni, auf den sie uns ein paar Tage zuvor freudestrahlend eingeladen hatte. Reni, ein aufgewecktes Mädchen, das besonders die Trainer mitunter gerne völlig unbeirrt auf Ungarisch vollplappert, hat auch dieses Jahr wieder am Camp teilgenommen, und wollte uns gerne zeigen, wie sie lebt. Reni ist elf, hilft ihren Eltern aber schon seit Jahren bei der Arbeit auf dem Hof, der Pflege der Tiere oder der Ernte.

Ein Hof also, okay. Mit Kühen, Schafen, Ziegen, Pferden und ein paar Hühnern. In einem kleinen Stall aus Backstein, vielleicht mit einer elektronischen Melkanlage, ein paar Weiden und einem Verschlag für die Hühner. So hatten wir uns den Hof vorgestellt – eben wie einen x-beliebigen Bauernhof, den wir aus Deutschland kennen. Aber Rumänien schafft es einfach immer wieder, zu überraschen, und uns mit unseren eigenen Vorstellungen und Vorurteilen zu konfrontieren. Natürlich hat die Familie von Reni keinen Bauernhof in dem Sinne, wie wir ihn aus Deutschland kennen. Aber spannend war die Konstruktion, die sich die kleine Familie in den Wiesen vor Bögöz zusammengebaut hat, allemal – zumal, wenn man die Hintergründe des Hofes kennt.

Uns erwartete also kein Backsteingebäude, sondern zwei windschiefe Holzhäuschen, die über ein Dach verbunden waren und in einen notdürftig mit einer Plane abgedeckten Unterstand übergingen. Daneben ein alter, verroster Wohnwagen, der einen Hauch von Zirkus versprühte, und vor allem: endlose Weiden, auf denen die Tiere ganz ohne Umzäunung grasten. Renis Familie erlaubte uns auch einen Blick in die Hütte – und siehe da, die Hütte war gar kein Stall! In einer der zwei Hütten wurde Käse aus Schafsmilch hergestellt, in der anderen schliefen zwei Familienmitglieder, auch im Wohnwagen war ein Bett, das gar nicht mal so ungemütlich aussah. Staunen mussten wir aber vor allem über das Bett von Renis Vater: Es befand sich aus Holz und festen Planen zusammengebauten Verschlag direkt neben der Schafsweide, auf der gerade die Schafe gemolken werden – natürlich von Hand, nicht elektronisch. Warum? Nun ja, Renis Familie besitzt zwar ein großes Haus direkt neben der Pension von Irenke, schläft aber im Sommer immer bei den Tieren, draußen in dern Hügeln von Bögöz. Um sie vor Fremden zu schützen – dazu haben sie vier große, lautstarke Hunde zur Hand – aber auch vor wilden Tieren. Vor allem Renis Vater schläft so nah bei den Schafen, um sie gegen Wölfe und Bären zu schützen. Bären und Wölfe? Keine Sorge, versicherte Reni schulterzuckend, die seien eh nur im Frühjahr und Herbst auf der Jagd, im Sommer würden sie sich den Bauch mit Beeren (oder eben anderen Tieren) den Bauch vollschlagen.

Zuerst einmal herrschte großes Unverständnis unter den Kindern darüber, warum man denn nachts immer draußen bei den Tieren schlafen würde, wenn man doch in Bögöz ein großes Haus besäße. Und das noch von April bis November! Dann aber, überlegte sich der ein oder andere, wäre es vielleicht doch ganz spannend, mal ein paar Nächte in der Wildnis zu verbringen, mit bellenden Hunden, blökenden Schafen und sternklarem Himmel. Für den uns angebotenen Schafskäse konnte sich zwar keines der Kinder wirklich begeistern (der war aber auch streng!), an der Lebensweise fand aber doch der ein oder andere gefallen. Schließlich sei es schön, immer draußen zu sein, direkt bei den Tieren, dort, wo die Grillen zirpen und vielleicht ab und zu ein Bär vorbeischaut. Und schließlich, wie es dem schlaftrunkenen Noah auf dem ruckelnden Rückweg auffiel, könne man dann auch jeden Tag den Sonnenuntergang beobachten; der sei schließlich in Rumänien immer viel schöner als in München.

Text: Katalina Farkas

Wir haben unseren Platz feierlich eröffnet! Wie es sich bei einer ordentlichen Eröffnungsfeier gehört, wurde zuerst eine Banderole zerschnitten, die wir zuvor zwischen den zwei Körben gespannt hatten (wir mussten uns mit Klebeband behelfen, zugegebenermaßen). Caspar und Barni, die sich schon seit Jahren kennen, wurde die feierliche Ehre zuteil, das Band zu zerschneiden, was nach einigen Anlaufschwierigkeiten auch klappte. Dann wollten wir uns den Spaß nicht nehmen lassen, das Feld mit ein paar Spritzern Wasser einzuweihen. Dafür durfte Yanick Wasser aus einem Blechtopf mit einer Kelle auf dem Platz verteilen – nicht ganz das, was andere unter einer Weihe verstehen, aber ins unseren Augen mehr als gut genug. Danach hielt unser Übersetzer Aron eine Rede auf Ungarisch – schließlich hatten wir jede Menge ungarische Gäste, denn auch das ein oder andere Elternteil war unserer Einladung gefolgt und zum Turnier gekommen.

Die symbolischen Feierlichkeiten waren aber nur Vorgeplänkel für die eigentliche Einweihung – das allererste Basketballturnier von Bögöz. Ausgerichtet wurde das Turnier vom neu gegründeten Bögözi Udvar Basketball, ein Verein, den wir übrigens nicht nur spaßeshalber für die Campwoche gegründet haben, sondern der tatsächlich mittlerweile auf Papier existiert und am liebsten schon in der kommenden Saison am Spielbetrieb teilnehmen würde. Aber zurück zum Geschehen: Der Gastgeber trat mit zwei Mannschaften an, in denen jeweils deutsche und ungarische Kinder spielten. Zu Gast waren zwei Teams der im vergangenen Jahr gegründeten Szeklerliga, die eigens aus Szekelyudvarhely und dem 100 Kilometer entfernten Kézdi angereist waren. Vor allem Letztere legte die Latte ziemlich hoch: An die extrem schnelle und körperbetonte Spielweise mussten sich unsere Spieler erst einmal gewöhnen.

Im ersten Spiel trat Bögözi Udvar 1 gegen das Team aus Udvarhely an. Souverän konnten unsere Spieler die anderen hinter sich lassen und einen Korb nach dem anderen versenken. Im nächsten Spiel sah es jedoch schon ganz anders aus: Die Gäste aus Kézdi konnten sich nach einem starken Start weit vor die Gastgeber setzen. Mit schnellen, schlauen Angriffen und einer robusten Defense machten sie es der zweiten Bögözer Mannschaft schwer, zu punkten. Die ließen sich jedoch nicht einkriegen und kämpften sich in der zweiten Halbzeit zurück – angefeuert von den Rufen der restlichen Bögözer Spieler. Am Ende flatterten die Nerven vielleicht doch ein wenig zu sehr, wichtige (und einfache) Körbe wurden nicht getroffen, und letztlich konnten die Gäste das Spiel mit 17:18 für sich entscheiden.

Im dritten Spiel trat Bögöz 1 gegen Bögöz 2 an: Nach einer verschlafenen Anfangsphase konnte sich Bögöz 1 durchsetzen. Die deutschen Spieler zeigten ihr ganzes Können in tollen Einzelaktionen, und auch die Szekler beeindruckten mit ihren neu gewonnenen Basketballskills. Spiel Nummer vier und fünf konnte wiederum die Mannschaft aus Kézdi für sich entscheiden – zuerst fast mühelos gegen das Team aus Udvarhely, dann waren etwas größere Anstrengungen notwendig gegen Bögöz 1. Im letzten Spiel konnte auch Bögöz 2 noch einmal glänzen: Überlegen gewannen sie gegen das Team aus Udvarhely, was vor allem dem großartigen Zusammenspiel zuzuschreiben war.

Das Turnier war eine tolle Erfahrung für uns alle. Auch den Schiedsrichtern – Jana und die Trainer der angereisten Mannschaften – ist es zu verdanken, dass alle großen Spaß am Spiel hatten und das Turnier ohne große Zwischenfälle über die Runden ging. Am Ende des Tages wurde noch ein großes Grillfest veranstaltet, bei dem der Trainer aus Kézdi uns immer wieder dazu aufforderte, doch direkt in der kommenden Saison in der Szeklerliga anzutreten – also im Oktober. Unsere Einwände, dass die Bögözer Kids vielleicht noch nicht erfahren genug wären, wiegelte er ab: Warum warten? Wann anfangen, wenn nicht jetzt? Wir finden, er hat Recht. Es hat keinen Sinn, immer auf den richtigen Moment zu warten, zu zögern, zu überlegen, zu verschieben. Manchmal sollte man einfach die Ärmel hochkrempeln und loslegen – auch wenn Korbleger und Co. noch nicht immer ganz sicher sitzen.

Text: Katalina Farkas

Heute stand Strategie auf dem Spielplan: Während den Szeklerkindern in aller Ruhe die Grundlagen eines Basketballspielzugs erklärt wurden, mussten die Deutschen im Spiel gegeneinander antreten, ohne zu dribbeln – eine Aufgabe, die besondere Konzentration und Koordination erforderte. Nach dem Spiel besuchten wir ein Roma-Dorf, dessen Besuch an anderer Stelle ausführlich beschrieben werden soll. Jetzt nämlich steht der nächste große Punkt auf dem Programm: die offizielle Eröffnung des Spielfelds, für das Teams aus dem ganzen Szeklerland angereist sind.

Text: Katalina Farkas

Szeklerkinder, ungarische Kinder, rumänische Kinder

Bislang haben wir meist Letzteres verwendet, wenn wir über die Kinder des Dorfes geschrieben oder gesprochen haben. Das ist nicht falsch, denn jeder hier hat einen rumänischen und einen ungarischen Pass – bis auf die Roma, die oft gar keinen haben. Zugehörig fühlen sich die Menschen hier aber eher den Ungarn. Sie sind Szekler-Ungarn, szekely-magyarok (sprich: szekeij-modjorok), die in Siebenbürgen leben, das sie erdély (sprich: ärdeij, mit gerolltem r) nennen. Erdély liegt im südlichen Karpatenraum des Landes und wird von drei ethnischen Gruppen bewohnt: Rumänen, Szeklern und den Siebenbürger Sachsen. Siebenbürgen ist in mehrere Regionen unterteilt; die Szekler leben in Harghita, dort, wo auch das Basketballcamp stattfindet.

Dokumenten zufolge siedelten die Szekler bereits im neunten Jahrhundert in der Region, die sie zum Herz von Europa, wenn nicht gar zum Herz der Welt erkoren – geschützt von den Karpaten, reich an fruchtbaren Böden, Bodenschätzen und Süßwasserreserven. Eingewandert waren sie aus dem fernen Osten, dort, wo man eben auch die Wurzeln der Ungarn vermutet, im Gebiet der heutigen Mongolei. Die Geschichtsschreibung der Szekler besagt, dass sie das Land lange vor den Rumänen bewohnten – wie so oft existieren jedoch auch hier alternative Antworten auf die Frage, wer denn nun zuerst da war.

Okay, dann sind Szekler also Ungarn?

Nicht ganz. Glaubt man Gabor, dem Vater von Evi – einem Szekler-Magyaren – der uns dankenswerterweise eine kleine Nachhilfestunde in Geschichte gegeben und traurige aber auch weise Anekdoten aus der Zeit des Kommunismus erzählt hat, sehen sich Szekler und Ungarn eher als Brüder. Nach der ungarischen Staatsgründung im Jahr 1000 n. Chr. wurde Erdély von Ungarn anerkannt und unterstützt – wahrscheinlich vor allem darum, weil es als Puffer gegen die nach Norden drängenden Türken wirkte und gleichzeitig die vom Nord-Westen eindringenden deutschen Stämme abhielt. Auch heute stehen noch viele Trutzburgen in der Region – nicht umsonst wird Erdély auch liebevoll-spöttisch als „Ritter am Rand“ bezeichnet.

Im Zuge der politischen Umwälzungen in Europa sah sich auch Erdély wegen seiner strategischen Lage immer wieder politischen Übergriffen ausgesetzt – vielleicht ein Grund dafür, dass die Region fortan besonderen Wert auf Autonomie legte und bereit war, finanzielle Tribute zu zollen, um diese zu wahren. Unabhängigkeit kann teuer sein.

Wie ist denn jetzt die Verbindung zu Ungarn?

Leider eine Frage, die sich nur mit einem historischen Rundumschlag beantworten lässt. Im 10. Jahrhundert schloss sich die Region dem Königreich Ungarn an, dass sich damals von Dalmatien über die Slowakei bis zur Karpatenukraine erstreckte. Innerhalb des großungarischen Reiches erfreute sich die Region relativer Autonomie und politischer Macht. 1914, in den Wirrungen des Ersten Weltkriegs, kämpfte die Region an Seite Österreich-Ungarns. Der Ausgang des ersten großen Schlacht des 20. Jahrhunderts ist bekannt, Ungarn wurde auf ein Drittel seiner ursprünglichen Größe geschrumpft. Dutzende Gebiete mussten abgegeben werden, unter anderem Erdély – Siebenbürgen. Seitdem gehört das Gebiet zu Rumänien. Im Zweiten Weltkrieg wurde die Region geteilt. Die Siebenbürger Sachsen wurden in die Politik der Nationalsozialisten eingebunden, die Szekler Ungarn zugeschlagen. Auch hier ist der Ausgang bekannt. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs wurde Erdély wieder rumänisch. Die zuvor dominanten deutschen und ungarischen Gruppen wurden zunehmend marginalisiert. Während es zwischen Rumänen und Szeklern über die Jahre hinweg die ein oder andere Reiberei gab, wurden die großen Probleme jedoch später durch die Regierung verursacht, wenn man Evis Vater glauben schenkt. Über die wollen wir jedoch an anderer Stelle schreiben, sonst wird der historische Exkurs doch zu ausschweifend.

Also, noch mal in Kurzform

Die Menschen, die in Bögöz leben, sind Szekler. Sie haben einen rumänischen Pass, sehen sich als Brüder und Schwestern Ungarns, legen jedoch großen Wert auf kulturelle, geistige und politische Autonomie. Bögöz ist der ungarische Name des Dorfes, der rumänische lautet Mugeni. Wir verwenden Bögöz, wenn wir über das Dorf schreiben, weil es der Name ist, den die Einheimischen benutzen, wenn sie von ihrer Heimat sprechen. Bei der Bezeichnung der Bürger waren wir bislang nicht ganz so konsequent, haben meist sogar von rumänischen gesprochen – eine Tatsache, die die Leser aus Bögöz hinnehmen, aber vereinzelt immer wieder kommentieren. Also werden wir fortan nur noch von ‚Szeklerkindern‘ sprechen – und manchmal, aus nicht ganz uneigennützigen stilistischen Gründen, ‚ungarische Kinder‘ verwenden. Ist abgesprochen, versprochen.

Text: Katalina Farkas

Heute hatten wir allen Grund zum Feiern, schließlich durften wir ein Geburtstagskind beglückwünschen: Monty, jetzt ganze zehn Jahre alt. Seinen Geburtstag schon so früh in der Fremde zu feiern ist wirklich mutig, aber dass so viele Freunde dabei waren und am Frühstückstisch gesungen haben, hat sicher geholfen. Zur Feier des Tages (und weil einigen Kindern die Sonne gestern etwas auf den Magen geschlagen ist – aber keine Sorge, liebe Eltern, es geht allen wieder besser!) ist sogar der morgendliche Lauf ausgefallen. Stattdessen gab es schon beim Frühstück für alle Süßes, gerade genug, um den Blutzucker für das anstehende Training hochzujagen.

Dort haben Coaches und Kids heute die Rollen getauscht. Unsere deutschen Camper haben an vier Stationen die einheimischen Kinder gecoacht: Ballhandling, Korbleger, Passen und Werfen. Das hat trotz der Sprachbarriere erstaunlich gut geklappt. Auch die Erwachsenen haben sich nicht zurückgelehnt, sondern mit Norbi, der in Zukunft das Basketball-Team der Bögözer trainieren wird, einen Schlachtplan für die kommende Saison ausgearbeitet. Norbi macht seine Sache wirklich gut – kein Wunder, dass die Szeklerkinder so schnell Fortschritte machen. Das wurde übrigens auch anerkennend von unseren deutschen Kindern bemerkt. Die haben es heute morgen etwas langsamer angehen lassen. Während die ungarischen Kinder im Spiel lernten, die Schritt- und Spielregeln zu vertiefen, haben die Deutschen Kraft- und Entspannungsübungen gemacht. Namaste!

Nachmittags stand ein weiterer spannender Besuch auf dem Programm: die Salzmine. Zum ersten Mal fuhren alle Kinder – deutsche und Szekler – gemeinsam in die Salzmine von Parajd. Während man den Enthusiasmus unserer Kids vor dem Ausflug noch etwas ankurbeln musste, standen die einheimischen Kinder schon fünfzehn Minuten vor Abfahrt mit Sack und Pack im Hof – anders als der Busfahrer, der auf sich warten ließ. Aber dann hieß es Abfahrt und ab nach Parajd, wo es, wieder mit dem Bus, hinunter in die Salzmine ging. Dort gab es für die Kids zwei Möglichkeiten: Indoor-Spielpark oder Klettergarten. Ja, das gibt es alles in einer alten, ausgebauten Salzmine – übrigens auch eine Kirche, Tischtennisplatten und Kaffee für die Erwachsenen. Drei unser deutschen Kids konnten sich für den Klettergarten begeistern, Quirin und Xenia waren sogar schon groß genug um – wirklich meisterhaft – die schwerste Stufe zu bewältigen.

Ein Erlebnis war für unsere deutschen und ungarischen Kinder übrigens nicht nur das Toben in der Salzmine, sondern die gemeinsame Busfahrt. Dort wurde trotz Hitze getratscht, Essen geteilt, und sicherlich die ein oder andere Freundschaften vertieft. Jetzt sind wir wieder zurück in Bögöz und nach dem Basketball-Training beenden wir den Tag, wie wir ihn begonnen haben: Mit einer Geburtstags-Party. Denn nicht nur ist Monti heute zehn geworden, auch Noah hatte letzte Woche Geburtstag. Boldog születésnapot Monti und Noah!

P.S.: Eine kleine Anekdote zum Schluss: Wie Kinder eben so sind, wollen sie manchmal auch das ein oder andere Schimpfwort auf Ungarisch lernen. Dafür wird natürlich am liebsten Botond zur Hilfe gezogen – der ja fließend ungarisch und deutsch spricht. Botond hat sich einen ziemlich guten Trick überlegt: Anstatt den Kindern das Schimpfwort zu übersetzen, sagt er ihnen etwas schönes. Zum Beispiel: szeretlek. Das ist alles andere als böse, es heißt nämlich „ich liebe dich“. Sobald unsere deutschen Kids das falsche Spiel erkannt haben, sind sie glücklicherweise ziemlich froh darüber – so eine Liebeserklärung kann ja auch ganz nützlich sein.

Text: Katalina Farkas

Nach der alltäglichen frühen Runde um den Kirchturm zeigten sich beim Training am Morgen die ersten Fortschritte bei den einheimischen Kindern. Besonders beim Korbleger – keine leichte Übung für Anfänger – stellten sich die meisten gar nicht schlecht an. Beim ein oder anderen hätte man glatt denken können, dass er oder sie schon länger trainiert. Auch die anfänglichen Sprachbarrieren konnten durch unsere Dolmetscher Aron und Botont, die aus München mitgereist sind, schnell überwunden werden.

Es ist immer wieder überraschend, wie sehr sich die rumänischen Kinder trotz Sprach- und sportlichen Schwierigkeiten anstrengen: Ob der Pass beim ersten Versuch sitzt oder nicht, ist egal, ob der Korb drin ist, auch – es wird einfach noch mal versucht. Während die deutschen Kinder sich zwischendurch immer mal wieder über das Niveau beschweren, zeigen auch sie meist vollen Einsatz. Sie müssen schließlich als Vorbilder agieren – die einheimischen Kindern lassen immer wieder durchblicken, dass sie zu den Deutschen aufblicken, weil sie im Basketball schon so routiniert sind.

Nach dem Training stand der erste größere Ausflug auf dem Programm: mit dem öffentlichen Bus ins Városi Strand – dem städtischen Schwimmbad von Skekelyudvarhely. Zwischen sonnenverbrannten Rentnern und halbstarken Heranwachsenden konnten die deutschen Campteilnehmer stundenlang ins Wasser springen, plantschen und Frisbee spielen.

Trotz ausgiebigem Ferienprogramm war noch etwas Energie übrig für das Spiel am Abend. Während zwei Teams auf dem Feld gegeneinander Basketball spielten, tobten sich die anderen beim Rugby aus. Basketball kann man schließlich nicht nur mit Basketball-Übungen trainieren.

Ein langer, anstrengender und doch unglaublich aufregender erster Tag geht vorbei. Hier sind unsere Eindrücke.

Text: Katalina Farkas

Wir sind zurück in Bögöz, und es ist genau so schön und aufregend wie eh und je. Empfangen wurden wir, wie im vergangenen Jahr, von Irenke und ihrer Tochter Evi, die Besitzerinnen der kleinen Pension, in der wir wohnen. Sie hatten schon im Vorfeld alle Hebel in Bewegung gesetzt, um uns unterzubringen – die Unterkunft ist eigentlich nicht für so viele Gäste ausgelegt. Und unsere Gruppe ist gewachsen, weil dieses Jahr ein paar mehr erwachsene Helfer mit dabei sind – das Projekt wächst, immer wieder finden sich neue Menschen, die von Basketball Leben begeistert sind und vor Ort helfen wollen. Die Zimmeraufteilung verlief jedoch überraschend unproblematisch; vielleicht vor allem darum, weil alle nach dem langen Tag, den zwei Flügen und der zweieinhalbstündigen Busfahrt vor allem eines im Kopf hatten (nein, nicht das Essen): Basketball.

Noch bevor die Feuerstelle angeworfen wurde, musste also der neue Platz bestaunt und ausprobiert werden. Wie dribbelt es sich auf dem Asphalt? Sind die Körbe hoch genug? Sind die Linien da, wo sie hingehören? Auch wir, die im vergangenen Jahr die Spenden für das Feld gesammelt hatten, waren aufgeregt: Schließlich kannten auch die meisten von uns den Platz nur von den vielen Fotos.

Jegliche Sorgen, die in den vergangenen Monaten hin und wieder durch unsere Köpfe gegeistert waren, erwiesen sich als völlig unbegründet: Der Platz ist wirklich großartig geworden. Ein rundum solider, gut ausgestatteter Freiplatz, der sich auch locker mit den großen Feldern in München messen kann.

Für den ersten Abend waren die Kinder aus der Nachbarschaft eingeladen worden, mit uns zu essen und zu spielen. Nachdem der Platz sowohl von den deutschen als auch von den einheimischen Kindern einstimmig für echt cool erklärt worden war, konnte das erste Spiel starten – alle gegen alle. Wer den Ball hatte, versuchte ihn in den Korb zu befördern, Regeln, Aufstellungen und Systeme wurden erst einmal ignoriert.

Es fühlt sich gut an, wieder hier in Bögöz zu sein – für die, die bereits im letzten Jahr hier waren, aber auch für die, die Bögöz dieses Jahr zum ersten Mal sehen. Die Sonne scheint, die Zimmer sind gemütlich, und Irenke übertrifft sich wieder mal selbst, was die Verpflegung angeht. Am schönsten aber ist es, die mittlerweile vertrauten Gesichter zu sehen, von Barni, Bálint, Reni, Reka und all den anderen: Fast alle sind wieder dabei, um mit uns Basketball zu spielen, sich auszutoben und zu lernen. Sie wollen nächstes Jahr in der Szeklerliga antreten – es ist also höchste Zeit für ein paar Trainingseinheiten!

In den nächsten Tagen wollen wir nicht nur über das Camp und über die Kinder schreiben, die teilnehmen, sondern auch die vorstellen, die das Camp überhaupt erst möglich gemacht werden. Wir haben schon so viel über Irenke, Evi und Imi geschrieben – wir finden, dass es an der Zeit ist, dass auch ihr sie ein bisschen besser kennen lernt. Also bleibt dran – und meldet euch bei uns, wenn ihr Fragen oder Anregungen habt.